Bausteine für alle!
Digitale Mitgestaltung in der Stadtentwicklung
Julian Rosenbaum, vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V.

(Titelbild: © Adobe Stock | 645482172 | Ben )
Kurz und Bündig
Die Digitalisierung der Bauleitplanung schreitet voran: Ungefähr 90 Prozent der Bebauungsplanverfahren werden inzwischen online veröffentlicht. Digitale Systeme wie DIPAS ermöglichen neue Beteiligungsformen, doch die Qualität und Verständlichkeit der Angebote variiert stark. Herausforderungen liegen bei Interoperabilität, Standards und der Nutzendenfreundlichkeit. Digitale Zwillinge und offene Daten eröffnen neue Chancen für mehr Transparenz und Beteiligung.
Schon längst reicht ein Aushang im Rathaus nicht mehr aus, um über neue Bauprojekte zu diskutieren. Mit ein paar Klicks rückt die Stadtentwicklung näher an die Menschen und öffnet Planungsprozesse für alle, die mitreden möchten. Aber wer kommt bei der digitalen Beteiligung wirklich zu Wort – und wie lassen sich Stadt und Bildschirm sinnvoll verbinden?
Die Bauleitplanung als zentrales Instrument zur Lenkung der städtebaulichen Entwicklung erfordert das Zusammenwirken verschiedenster Akteure. Die Internet-gestützte Beteiligung von Behörden, Bürger:innen und sonstigen Trägern öffentlicher Belange (TÖB) erhöht die Transparenz, Effizienz und Attraktivität der öffentlichen Verwaltung. Räumliche Planwerke und schnelle Planungsverfahren schaffen Investitionssicherheit und gelten als Standortfaktor im regionalen Wettbewerb um Fachkräfte und Investoren [1].
Gesetzlicher Rahmen und digitale Elemente
Gesetzliche Rahmenbedingungen in der Bauleitplanung haben Kommunen schrittweise dazu veranlasst, digitale Verfahrenselemente zu integrieren [2]. Hieß es nach der Anpassung des Baugesetzbuchs (BauGB) an die EU-Richtlinien 2004 noch, dass „[…] bei der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung […] ergänzend elektronische Informationstechnologien genutzt werden [können]“ (§ 4, Absatz 4, BauGB), wird die Veröffentlichung im Internet auch gemäß § 3 BauGB und im Rahmen der formellen Öffentlichkeitsbeteiligung mit dem Gesetz zur Stärkung der Digitalisierung im Bauleitplanverfahren vom 07.07.2023 verpflichtend. Die Einführung digitaler Verfahrenselemente begann bereits 2017 mit dem „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht“ und setzte sich mit dem „Planungssicherstellungsgesetz“ (PlanSiG) während der Corona-Pandemie fort. Das PlanSiG ermöglichte es, wichtige Beteiligungsverfahren auch bei Kontaktbeschränkungen digital und rechtssicher durchzuführen.
Corona als Katalysator der Digitalisierung
Mehr noch als die gesetzlichen Rahmenbedingungen war es die Corona-Pandemie, die Kommunen schlagartig dazu aufgefordert hat, Beteiligungsprozesse neu zu denken und analoge Formate zu meiden. Die Unkenntnis des obengenannten Gesetzes vom 07.07.2023 einiger Kommunen ist Ausdruck dessen, dass die Forderungen durch Corona schon vielerorts gängige Praxis sind und sich ein neues Verständnis von Öffentlichkeitsbeteiligung etablieren konnte [2]. 2022/23 lag die Quote der online ausgelegten Bebauungsplanverfahren bereits bei etwa 90 Prozent. Stellungsnahmen per Brief oder vor Ort einzureichen, ist heute zu einer Seltenheit geworden [3].
Herausforderungen der digitalen Öffentlichkeitsbeteiligung
Trotz der Fortschritte gibt es signifikante Unterschiede in der Qualität der digitalen Angebote. Während einige Kommunen aufwändige und benutzerfreundliche Portale anbieten, finden sich bei anderen noch rudimentäre Formen, die sich nur durch das Medium von herkömmlichen Aushängen unterscheiden [2]. Konzeptionelle Unterscheidungen wie zwischen „Digitizing and Digitalization“ [4] oder „Digitalisierung und Digitalität“ [5] versuchen, den digitalen Wandel in einen größeren sozialen, institutionellen und kulturellen Kontext zu setzen, um die Reichweite und das Potenzial technologischer Entwicklungen zu verdeutlichen. So führt die Ausweitung des Einsatzes digitaler Technologie zu neuen Strukturbedingungen, die alte Handlungsmuster der Kommunikation und Koordination herausfordern, in Frage stellen und verändern [6]. Demnach ist die Digitalisierung als soziotechnischer Prozess mehr als nur die reine Übersetzung von analogen zu digitalen Informationen, sondern ihr angeheftet sind Veränderungen im entsprechenden Prozessablauf [vgl. 4]. In der Innovationsforschung würden diese Unterscheidungen verstanden als Ineinandergreifen von sozialen, organisatorischen und technologischen Innovationen.
Teilweise erscheinen die Planungsinformationen nur für die geregelten Auslegungszeiträume und verschwinden danach wieder von den Internetseiten. Auch die (digitalen) Gestaltungsspielräume der informellen Öffentlichkeitsbeteiligung werden meist nicht ausgeschöpft, sodass Kommunen sich an den Mindestansprüchen der Verfahrensregeln orientieren. Dabei ist in den Kommunen zugleich der Wunsch nach mehr Transparenz, Partizipation und „User-orientierung“ sehr präsent und Treiber der kommunalen Digitalisierung [2]. Das Digitale Partizipationssystem DIPAS der Hansestadt Hamburg arbeitet mit digitalen Planungstischen, Karten und 3D-Modellen zur Beteiligung an Planungsverfahren jeglicher Art [7]. Interessant: Im Gegensatz zu DiPlanBeteiligung, einer ebenfalls in Hamburg entstandenen Lösung nach dem „Einer für Alle“ (EfA)-Prinzip, fokussiert DIPAS insbesondere die informelle Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3, Absatz 1 BauGB und setzt dort an, wo es noch keinen gesetzlichen Prozessrahmen gibt [vgl. 8]. Das EfA-Prinzip beschreibt das arbeitsteilige Vorgehen im Zuge der Softwareentwicklung für eine verbesserte interföderale Zusammenarbeit. Ein Land digitalisiert einen Verwaltungsvorgang und stellt die Lösung allen anderen Ländern zur Nachnutzung bereit. Die „methodische Freiheit“ der informellen Öffentlichkeitsbeteiligung wird durch DIPAS in kreative digitale Formate übersetzt [vgl. 8].
Ein weiteres Problem ist die Verständlichkeit der Inhalte. Viele der digital transportierten Informationen sind für Laien schwer verständlich. In 75 Prozent der Fälle wurde festgestellt, dass die „Zeichensprache“ der Bauleitplanung Nicht-Fachleuten relevante Informationen verwehrt. Dies stellt ein zentrales Defizit dar, das die Motivation zur Teilnahme an den Beteiligungsprozessen beeinträchtigt [2].
Digitale Teilhabeangebote und ihre Vielfalt
Die Heterogenität der Beteiligungsangebote und der IT-Landschaft ist ein weiteres Merkmal aktueller Entwicklungen. Die Verfahren werden auf städtischen Homepages, Fachplanungsseiten, Landesportalen oder über eigens entwickelte Beteiligungsportale veröffentlicht. Seit Neuestem sind Kommunen bestrebt, ihre Beteiligungsangebote und dazugehörigen Informationen unter einer Adresse zu bündeln, um ein zusammenhängendes Bild zu vermitteln. Die Entstehungsprozesse solcher Angebote folgen sehr individuellen und ortsspezifischen Pfaden, welche sich als sukzessive Aneinanderreihung von neuen Digitalisierungsprojekten, Features und Anwendungen beschreiben und als Grund der Heterogenität zwischen Kommunen einerseits und Anwendungen andererseits anführen lassen. Dieser technische Prozess wird begleitet von „organisatorischen Konsequenzen in Aufbau und Arbeitsweise der Verwaltung“ [2]. Viele Kommunen haben individuelle Lösungen entwickelt, die häufig auf den jeweiligen spezifischen Bedürfnissen und Ressourcen basieren. Diese Vielfalt ist sowohl eine Stärke als auch eine Schwäche, da sie einerseits innovative Ansätze fördert, andererseits aber auch zu Ungleichheiten in der Öffentlichkeitsbeteiligung führen kann [2].
Förderprogramme, Strategien und Standards: Auf dem Weg zur nachhaltigen Digitalisierung
Förderprogramme befähigen vor allem finanzschwache Kommunen, Digitalisierungsprojekte auf den Weg zu bringen, sind allerdings häufig auf kurzfristige, anwendungsspezifische Ergebnisse ausgerichtet, was die Gefahr birgt, dass integrierte, nachhaltige Lösungen vernachlässigt werden. Oft fehlt es an einer übergreifenden Strategie oder Koordination zwischen verschiedenen Förderprogrammen, was dazu führt, dass die entwickelten Systeme nicht aufeinander abgestimmt sind. Daneben existieren auch Positivbeispiele, die sich explizit der Schaffung von Interoperabilität und Standards verschreiben. Interoperabilität bedeutet dabei, dass unterschiedliche digitale Systeme problemlos zusammenarbeiten und Daten austauschen können. Die Stadt Jena benennt im Rahmen des Förderprogramms „Modellprojekte Smart Cities“ den „nachhaltigen und abgestimmten Einsatz von Fördermitteln“ als konkretes Ziel ihrer Netzwerkarbeit [9].
Erfolgsfaktoren
In empirischen Untersuchungen taucht immer wieder auf, dass der Erfolg integrierter Verwaltungsdigitalisierung davon abhängt, wie das Thema personell und institutionell verankert und strukturiert ist. So beispielsweise ist zu entscheiden, ob die Digitalisierungsprozesse eher fachbehördlich oder gesamtstädtisch umgesetzt werden, also ob der Digitalisierungsauftrag in den Fachbereichen verbleibt oder ergänzend durch eine Querschnittseinheit (u.a. Digitalisierungsbeauftragte, CDO, Hauptamt) unterstützt wird. Klare Zuständigkeiten, Erfahrungsaustausche, Leitlinienprozesse und das Sichbekennen von oberster Leitungsebene sind wichtige Faktoren, um die Digitalisierung erfolgreich voranzubringen [2, vgl. 10]. Der Anspruch, Verfahren fachgerecht, lokalspezifisch und anwendungsfallorientiert zu digitalisieren und gleichzeitig Interoperabilität zwischen den technischen Systemen zu gewährleisten, geht mit fortlaufenden Abwägungen zwischen praxisnah-dezentralen und standardisiert-zentralen Ansätzen einher.
Hinzu kommt, dass „dort, wo Arbeitsroutinen in der Verwaltung explizit vorliegen und Handeln anleiten (wie zum Beispiel in Formularen), […] Übersetzungen in digitale Technologien unter Umständen weniger problematisch [sind] als dort, wo technisches mit praktischem Wissen konkurriert“ [10].
Fazit und Ausblick
Die Entwicklung der digitalen Öffentlichkeitsbeteiligung in der Bauleitplanung steht an einem Wendepunkt. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen fördern die Digitalisierung, und viele Kommunen haben bereits erfolgreich digitale Formate implementiert. Dennoch bestehen weiterhin Herausforderungen, insbesondere hinsichtlich der Qualität, Interoperabilität und Verständlichkeit der Informationen.
Digitale Zwillinge halten zunehmend Einzug in die Stadtentwicklung und werden als virtuelle Abbilder von Objekten oder der „kommunalen Realität“ genutzt [11]. Sie beschleunigen Planungsprozesse durch neue Beteiligungsmöglichkeiten und datengestützte Analysen, weshalb viele Kommunen in Deutschland erste Modellprojekte starten [12]. Eine funktionierende Geodateninfrastruktur und offene Daten sind dabei zentrale Voraussetzungen, um Echtzeitinformationen zu integrieren und die Kommunikation zu erleichtern [vgl. 13].
Insgesamt ist die digitale Öffentlichkeitsbeteiligung in der Bauleitplanung nicht nur eine technische, sondern auch eine kommunikative und strukturelle Aufgabe. „Intelligente Städte“ ermöglichen ein datenbasiertes Verständnis der Stadt und können Planungsprozesse und Governance nachhaltig verändern [14]. Weiterführende Erkenntnisse liefern die Studien von NetzwerkStadt [16] und Urbane Transformation [17] im Auftrag des vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. [3, 15].