Fortnite statt Frontalunterricht:
Ein Massenspiel-Experiment für Demokratiebildung
Hauke Wiemer, Projekt Reload Democracy der Hochschule Kaiserslautern, im Gespräch mit Milena Milivojevic, IM+io
(Titelbild: © Projekt Reload Democracy der Hochschule Kaiserslautern )
Kurz und Bündig
Ein Projektteam der Hochschule Kaiserslautern hat in Fortnite eine eigene Spielwelt geschaffen, die Demokratie erfahrbar machen soll. Kernstück ist ein Festivalgelände mit Bühnen, Auftritten von Künstler:innen sowie Info-Ständen von NGOs. Ergänzt wird das Angebot durch Minispiele mit Quizfragen zu Grundrechten und ein Szenario, das das Leben in einem totalitären Regime erlebbar macht. Erste Tests zeigen positive Resonanz, doch die langfristige Umsetzung hängt von ehrenamtlicher Arbeit und finanzieller Unterstützung ab.
Zwischen schillernden Skins, tanzenden Emotes und einer Welt, die sich ständig neu zusammensetzt, entsteht plötzlich mehr als nur Spiel. Dort, wo sonst Matches starten und Bauwerke in Sekunden wachsen, stehen Bühnen und Infospots bereit, um Demokratie erlebbar zu machen. Aus der gewohnten Arena wird ein Raum für Austausch und Fragen über Freiheit und Teilhabe. Kann ein solches Setting junge Menschen stärker für Politik begeistern als jeder Unterricht?
IM+io: Zum Einstieg: Wer steckt hinter „Reload Democracy“ – und worum geht es im Projekt?
HW: Mein Name ist Hauke Wiemer, ich studiere im Master Virtual Design an der Hochschule Kaiserslautern. Gemeinsam mit meinem Team habe ich im vergangenen Sommersemester die Fortnite-Experience „Reload Democracy“ entwickelt. Ziel ist es, Demokratie für junge Menschen spielerisch erfahrbar zu machen. Dafür haben wir ein Festival in der virtuellen Welt entworfen, bei dem Aktivist:innen, Künstler:innen und NGOs auftreten können. Im Mittelpunkt steht die Botschaft, dass Demokratie vielfältig ist und dass jede und jeder selbst mitgestalten kann. Wir möchten junge Menschen dafür sensibilisieren, dass Demokratie nicht beim Wählen aufhört, sondern dass es viele Möglichkeiten gibt, aktiv teilzuhaben und Veränderungen anzustoßen. Gleichzeitig setzen wir ein klares Zeichen für Antirassismus und für eine offene Gesellschaft.
IM+io: Wie ist die Idee dazu entstanden?
HW: Im privaten Umfeld und in den Medien ist oft sichtbar geworden, dass viele junge Menschen mit klassischen Politikangeboten wenig anfangen können. Gleichzeitig verbringen sie viel Zeit in Videospielen und auf Social Media. Dort entstehen leider auch Räume, in denen antidemokratische Tendenzen sichtbar werden, zum Beispiel auf Plattformen wie TikTok. Wir wollten dem etwas entgegensetzen und eine solidarische Gegenstimme aufbauen. Die Grundidee war: Wenn wir junge Menschen dort abholen, wo sie ohnehin viel Zeit verbringen, können wir sie auf Augenhöhe ansprechen. Das bedeutet, keine Vorträge mit erhobenem Zeigefinger, sondern ein Raum, in dem Demokratie als etwas Vielfältiges und Positives erlebbar wird.
IM+io: Warum fiel die Wahl auf das Medium Videospiel, und weshalb genau auf Fortnite?
HW: Videospiele sind ein interaktives Medium. Demokratie bedeutet nicht, nur passiv zuzuschauen, sondern sich aktiv zu beteiligen. Genau diese Logik findet sich auch in Spielen wieder: Man ist nicht nur Konsument:in, sondern Teilnehmende:r, man kann Entscheidungen treffen und gestalten. Das ist ein starkes Bild für demokratische Prozesse. Fortnite wurde aus mehreren Gründen gewählt: Es ist kostenlos und auf fast allen Konsolen und Tablets verfügbar, also für viele zugänglich. Außerdem hat es eine große, tolerante Community, die offen für verschiedene „Experiences“ ist. Andere Plattformen wie Roblox oder Minecraft haben zwar ähnliche Möglichkeiten, aber Minecraft kostet Geld und Roblox hat den Ruf eines reinen Kinderspiels. Fortnite bietet eine breite Bühne und die technischen Voraussetzungen, um eigene Inhalte einzubinden.

IM+io: Wie genau funktioniert das dann technisch – wie gelangen Spieler:innen in Fortnite zu euch?
HW: Wer Fortnite startet, kann entweder über den Homescreen auf unser Projekt stoßen – das ist unser Ziel – oder über einen Code, den man in die Suche eingibt. Dann landet man auf unserer Insel. Der Startbereich ist als Festivalgelände aufgebaut, mit Bühnen für Künstler:innen und Aktivist:innen. Dort sollen auch Informationsstände entstehen, an denen NGOs ihre Arbeit vorstellen können – etwa aus den Bereichen Umwelt, queere Rechte oder Antirassismus. Von dort aus gibt es verschiedene Spielwelten. Geplant sind zum Beispiel ein Jump-and-Run-Spiel mit Quizfragen zu demokratischen Grundsätzen oder ein Szenario, das wir „Deutschland 2033“ nennen. Dort kann man erleben, wie das Leben in einem totalitären Regime aussehen würde – ohne freie Presse, ohne Meinungsfreiheit, ohne das Recht auf Demonstrationen.
IM+io: Das klingt nach starker Interaktion. Wie stellt ihr sicher, dass diese nicht in eine falsche Richtung abdriftet, wie man es von Social Media kennt?
HW: Es wird klare Leitlinien geben, und nicht jeder wird auf die Bühne kommen können. Die Gäste, die auftreten, werden von uns eingeladen. Dadurch können extremistische Akteure von vornherein ausgeschlossen werden. Fortnite selbst bietet eine Vielzahl an Moderationstools und strenge Content-Guidelines. Inhalte, die gegen demokratische Grundsätze verstoßen, sind dort schlicht nicht erlaubt. Zusätzlich lebt die Community von der Vielfalt und ist es gewohnt, respektvoll miteinander umzugehen. Wir nutzen diese Regeln, um sicherzustellen, dass die Diskussionen in einem konstruktiven Rahmen stattfinden.
IM+io: Wie lief die Entwicklung technisch, und wo steht das Projekt gerade?
HW: Angefangen hat alles mit einem groben Prototypen im vergangenen Semester. Dieser zeigte bereits ein Festivalgelände, hatte aber noch wenig Funktionen. Momentan wird das Projekt im Rahmen meiner Masterarbeit weiterentwickelt. Genutzt wird dafür die Unreal Engine for Fortnite, die eigens von Epic Games dafür entwickelt wurde, dass externe Entwickler:innen eigene Inhalte erstellen können. Diese bietet einfache Werkzeuge, mit denen große Welten gebaut werden können – inklusive Questgebern, Checkpoints und interaktiven Elementen. Die Herausforderung liegt vor allem darin, Design und Programmierung zu verbinden. Für mich als Gestalter mit Schwerpunkt 3D-Design war es zunächst ungewohnt, in die Programmiersprache von Fortnite einzutauchen. Gleichzeitig ermöglicht es, das im Studium Gelernte zum Thema Storytelling neu einzusetzen: Es geht nicht um eine Geschichte, die man nur passiv konsumiert, sondern um eine, die man aktiv miterlebt.
IM+io: Gab es bereits Tests, und wie war das Feedback?
HW: Erste Testläufe mit einzelnen Ausschnitten wurden bereits durchgeführt. Das Feedback war durchweg positiv. Viele Testspieler:innen sagten am Ende, dass sie unbedingt mehr davon erleben möchten. Besonders erfreulich war die Reaktion von Schulkindern, die bisher kaum Kontakt mit politischer Bildung hatten oder diese eher negativ in Erinnerung hatten. Das Projekt hat sie neugierig gemacht und gezeigt, dass politische Themen spannend und relevant sein können, wenn sie anders vermittelt werden.
IM+io: Wie sieht es mit Finanzierung und Unterstützung aus – wie wird dieses Projekt getragen?
HW: Momentan läuft fast alles ehrenamtlich. Der Prototyp wird entwickelt, um potenzielle Unterstützer:innen zu überzeugen – sowohl künstlerisch als auch finanziell. Die Herausforderung ist, dass ein solches Projekt dauerhaft gepflegt werden muss. Moderation, technische Wartung und Weiterentwicklung kosten Ressourcen. Im Moment wird vieles durch persönliches Engagement gestemmt, teilweise auch Vollzeit im Rahmen der Masterarbeit. Es gibt aber bereits Kontakte zu Agenturen, die bereit wären, uns zum Selbstkostenpreis zu unterstützen, weil sie den demokratiefördernden Ansatz überzeugend finden. Trotzdem ist die Finanzierung der größte limitierende Faktor, um das Projekt langfristig groß zu machen.
IM+io: Was sind die nächsten Schritte, und wann könnte das Projekt offiziell spielbar sein?
HW: Im Laufe des Herbstes 2025 sind größere Testläufe mit der Zielgruppe geplant. Bis Ende des Jahres soll ein Prototyp online gehen, der in einem begrenzten Rahmen getestet werden kann. Ziel ist, Anfang des kommenden Jahres eine Version zu veröffentlichen, die breiter zugänglich ist. Das wird allerdings zunächst eingeschränkt sein, weil die geplanten Storymissionen wie „Deutschland 2033“ sehr umfangreich sind. Langfristig ist vorgesehen, das Projekt kontinuierlich auszubauen und zu erweitern.
IM+io: Gab es auch Rückmeldungen seitens Epic Games?
HW: Ja, es gab bereits Kontakt. Epic Games selbst möchte politische Projekte nicht aktiv fördern, um nicht als politischer Akteur wahrgenommen zu werden. Sie haben aber signalisiert, dass politische Bildung auf der Plattform willkommen ist. Es gibt bereits Beispiele wie ein Holocaust-Museum in Fortnite. Projekte, die auf Bildung und Aufklärung setzen, sind ausdrücklich erlaubt. Damit haben wir grünes Licht, das Festival weiterzuentwickeln und auch ernste Themen einzubringen.

IM+io: Wie wollt ihr überprüfen, ob das Projekt tatsächlich Wirkung entfaltet?
HW: Geplant ist, Schulen einzubeziehen und dort Befragungen durchzuführen – vor dem Spielen, direkt danach und noch einmal nach einem halben oder ganzen Jahr. So lässt sich empirisch feststellen, ob sich Einstellungen zu Demokratie oder politischer Bildung verändert haben. Uns ist wichtig, nicht nur im „Elfenbeinturm“ ein kreatives Projekt zu entwerfen, sondern auch wirklich zu überprüfen, ob es Wirkung zeigt. Das soll helfen, das Projekt weiter zu verbessern und anderen Initiativen Orientierung zu geben.
IM+io: Euer Projekt hat bereits Preise gewonnen. Was bedeutet diese Anerkennung?
HW: Der Gewinn beim ComAward und beim ADC Award hat uns enorm bestärkt. Besonders der ADC Award, einer der größten Kreativpreise in Deutschland, zeigte uns, dass unser Konzept auch außerhalb der Hochschule ernst genommen wird. Das ist ein wichtiges Signal, wenn Menschen mit viel Erfahrung in der Medienbranche bestätigen, dass das Projekt Potenzial hat. Solche Auszeichnungen helfen auch im Gespräch mit möglichen Partner:innen und Unterstützer:innen, weil sie zeigen, dass die Idee von unabhängiger Seite positiv bewertet wurde.
IM+io: Wohin soll sich das Projekt in Zukunft entwickeln – was ist der langfristige Wunsch?
HW: Der Traum wäre, dass das Projekt in Schulen eingesetzt wird als fester Bestandteil von Unterrichtseinheiten. Damit könnten Schülerinnen und Schüler Demokratie auf eine Weise erleben, die anders ist als klassische Arbeitsblätter oder Referate. Für diejenigen, die nicht über die nötige Technik in der Schule verfügen, wäre es großartig, wenn Streamer das Spiel vorstellen und so ein breiteres Publikum erreichen. Das langfristige Ziel ist, junge Menschen zu motivieren, die Potenziale der Demokratie zu erkennen – nicht nur im Sinne von „alle paar Jahre wählen gehen“, sondern als aktive Möglichkeit, das eigene Umfeld zu gestalten und gemeinsam die Welt ein Stück besser zu machen.







