BERRY Smart –
Geerntet mit System
Hannah Louise Brown, Organifarms im Gespräch mit Milena Milivojevic, IM+io

(Titelbild: © Organifarms | Roboter BERRY erntet Erdbeeren )
Kurz und Bündig
Ein autonomer Ernteroboter (BERRY) übernimmt im Gewächshaus die vollständige Erdbeerernte: Er erkennt über Künstliche Intelligenz Reifegrad, Qualität und Sortenunterschiede, sortiert in Klassen und wechselt Transportkisten selbstständig. Die Bedienung erfolgt über eine intuitive Oberfläche. Entwickelt wurde das System modular für den Einsatz in Stellagen – perspektivisch auch für andere Sorten. Produziert wird derzeit nach Bedarf, die Skalierung ist geplant.
Zwischen glänzenden Blättern und langen Stellagen bewegt sich eine mechanische Arbeitskraft durch das Gewächshaus. Kein Mensch lenkt sie – die Entscheidungen trifft sie allein. Reif oder unreif, wertvoll oder Ausschuss? Dieser Roboter weiß Bescheid. Wie wird aus einer simplen Erdbeere ein Datensatz – und was folgt als Nächstes?
IM+io: Was macht Organifarms und wie ist die Idee dazu entstanden?
HLB: Wir sind ein Start-up aus Konstanz am Bodensee. Unser Gründungsteam besteht aus drei Personen: Marian Bolz, Dominik Feiden und mir. Gestartet haben wir vor ungefähr vier Jahren mit dem Ziel, Roboter für die Erdbeerernte im Gewächshaus zu entwickeln. Die Idee entstand 2019 auf einem Hackathon in Berlin. Wir haben uns dort kennengelernt und uns gefragt, was es für eine zukunftsfähige Landwirtschaft eigentlich braucht – und welche Herausforderungen möglicherweise in Zukunft noch größer werden.
Bei unseren Recherchen wurde schnell deutlich, dass der Personalmangel ein echtes Problem in der Landwirtschaft ist – nicht irgendwann, sondern schon jetzt. Wir wollten herausfinden, ob und wie sich das technologisch lösen lässt. Daraus entstand die Idee für einen Roboter, der Landwirtinnen und Landwirte bei der Erntearbeit entlastet. Gerade weil viele Betriebe Schwierigkeiten haben, genügend Arbeitskräfte zu finden. Gleichzeitig wollten wir ein System schaffen, das effizienter ist, Kosten spart und die lokale Produktion aufrechterhält. Dabei war uns besonders wichtig, ein Produkt zu entwickeln, das sich nahtlos in bestehende Betriebsabläufe integrieren lässt – ohne hohe Einstiegshürden oder komplizierte Anpassungen. Unser Ziel war von Anfang an, Technologie nicht als Selbstzweck zu begreifen, sondern als konkreten Nutzen für die Praxis.
IM+io: Und wie weit sind Sie inzwischen?
HLB: Inzwischen sind wir ein Team von sechzehn Personen und stehen kurz vor der Markteinführung. Wir haben bereits eine kleine Vorserie unseres Roboters produziert, den wir „BERRY“ nennen. Diese Einheiten sind aktuell bei ersten Kundinnen und Kunden im Einsatz, wo sie getestet und natürlich auch weiterentwickelt werden. Es ist ein intensiver, aber spannender Abschnitt für uns.
IM+io: Ihr Roboter BERRY wurde sogar mit dem GreenTech Innovation Award ausgezeichnet. Was macht BERRY so besonders?
HLB: BERRY ist ein mobiler Roboter mit einem autonomen Fahruntersatz. Darauf befindet sich ein Roboterarm, außerdem ein Elektronikbereich und ein sogenannter Storage-Bereich – also das Segment, in dem die geernteten Früchte gelagert werden. Der Roboter fährt vollkommen autonom durch das Gewächshaus. Über eine Benutzeroberfläche wählt man einfach aus, welche Reihen geerntet werden sollen. Dann navigiert BERRY selbstständig zu den angegebenen Pflanzen.
Mit seinen Kameras und Sensoren erkennt er, wo sich reife Früchte befinden. Dabei bewertet er den Reifegrad und die Qualität der Erdbeeren. Nur wenn sie bestimmten Kriterien entsprechen, werden sie geerntet – ganz vorsichtig am Stiel über der Frucht. Anschließend werden die Beeren direkt in Verkaufsschalen gelegt und gewogen. Wenn eine Kiste voll ist, tauscht der Roboter sie selbstständig aus. Bis zu vier Kisten kann er gleichzeitig transportieren. Die vollen Kisten bringt er dann eigenständig in den Kühlbereich und lädt neue auf. Das alles passiert vollautomatisch.
IM+io: Welche Kriterien waren aus Ihrer Sicht besonders ausschlaggebend dafür, dass BERRY unter so vielen Innovationen hervorstach?
HLB: Ich denke, es war die Kombination aus technischer Innovation und der Übertragbarkeit in die Praxis. Für Menschen ist das Ernten von Erdbeeren vergleichsweise einfach, aber für Roboter ist es extrem herausfordernd – vor allem wegen der vielen Umweltvariablen: unterschiedliche Lichtverhältnisse, viele Sorten, individuelle Wachstumsformen der Pflanzen. Es ist komplex zu entscheiden, welche Frucht nun wirklich reif ist und wie man sie sicher erntet. Hinzu kommt, dass der gesamte Ernteprozess abgedeckt werden muss. Ein Roboter, der nur pflückt, aber ständig betreut werden muss, ist keine Hilfe. Unser System ist so konzipiert, dass es sich nahtlos in bestehende Abläufe im Gewächshaus integriert. Diese Kombination aus Präzision, Automatisierung und Praktikabilität hat sicher zur Auszeichnung beigetragen.
IM+io: Sie beschreiben das System als „Plug and Play“. Was bedeutet das konkret?
HLB: Plug and Play heißt bei uns: Der Roboter kann ganz einfach in Betrieb genommen werden, ohne dass technisches Vorwissen nötig ist. Nach der Erstinstallation durch uns bekommen Nutzerinnen und Nutzer eine intuitive Benutzeroberfläche. Dort wählt man einfach aus, welche Reihen geerntet werden sollen. Mit einem Klick startet der Roboter, alles andere übernimmt er eigenständig.
Man kann zusätzlich Qualitätsparameter einstellen – zum Beispiel den gewünschten Reifegrad oder die Größe der Früchte. Aber auch das ist ganz einfach. BERRY wurde bewusst so konzipiert, dass die Interaktion auf das Wesentliche reduziert ist.
IM+io: Funktioniert das nur im Gewächshaus?
HLB: Aktuell ja. BERRY wurde speziell für den Einsatz in Gewächshäusern entwickelt. Er fährt auf vorhandenen Rohrsystemen, wie sie dort häufig installiert sind. Zukünftig wollen wir das System auch für andere Umgebungen nutzbar machen – etwa für Folientunnel, solange die Pflanzen dort auf Stellagen wachsen. Die Voraussetzung ist, dass die Erdbeeren auf einer bestimmten Höhe – ungefähr auf Schulterhöhe – wachsen. Für den Feldeinsatz bräuchte es allerdings eine komplett neue Hardware. Unser Fokus liegt daher vorerst auf geschützten Anbausystemen.
IM+io: Planen Sie, auch auf andere Obst- und Gemüsesorten auszuweiten?
HLB: Ja, das ist auf jeden Fall unser Ziel. Unsere Technologie wurde von Anfang an so modular aufgebaut, dass wir sowohl Hardware- als auch Softwarekomponenten austauschen oder erweitern können. Bei der Software bedeutet das vor allem: Die neuronalen Netze müssen mit neuen Daten trainiert werden. Aktuell ist das System auf Erdbeeren optimiert. Aber die Struktur ist so gestaltet, dass wir es relativ einfach auf andere Obst- oder Gemüsesorten übertragen können.
IM+io: Sie haben neuronale Netze erwähnt – also Künstliche Intelligenz. In welchen Bereichen setzen Sie diese konkret ein?
HLB: Künstliche Intelligenz spielt bei uns eine zentrale Rolle, vor allem bei der Erkennung der Früchte. Die KI bekommt Trainingsdaten von Früchten in unterschiedlichen Reifezuständen und lernt daraus: So sieht eine gute Erdbeere aus, so eine mit Schimmel, so eine, die noch unreif ist. Auf dieser Basis kann sie dann beim Erntevorgang entscheiden, was mit einer Frucht passiert. Darüber hinaus kommt Künstliche Intelligenz auch bei der Steuerung zum Einsatz – also etwa, welcher Weg zur Frucht der effizienteste ist. Unsere Systeme werden laufend verbessert, die Algorithmen komplexer, und das macht den Roboter immer schneller und präziser.
IM+io: Wie trainieren Sie diese Systeme?
HLB: Unsere Softwareentwicklung erfolgt komplett im eigenen Haus. Wir haben eigene Tools, mit denen wir die Künstliche Intelligenz trainieren – also auch die neuronalen Netze. In bestimmten Fällen greifen wir auf bestehende Modelle zurück und entwickeln sie weiter, aber der Großteil ist von uns selbst aufgebaut. Das ermöglicht uns maximale Kontrolle und Flexibilität.
IM+io: Und wenn der Roboter eine schlechte oder beschädigte Frucht erkennt – was passiert dann?
HLB: Da gibt es mehrere Optionen. Entweder bleibt die Frucht einfach hängen und wird ignoriert, oder der Roboter sortiert sie in eine separate Box für Ausschussware. Zusätzlich kann er Früchte in verschiedene Qualitätsklassen einordnen – zum Beispiel Klasse 1 und Klasse 2. Letztere sind vielleicht etwas kleiner oder nicht ganz so schön geformt, aber immer noch gut verkäuflich. Das spart den Landwirtinnen und Landwirten eine Menge Nachsortieraufwand.

IM+io: Wie testen Sie neue Funktionen oder Anpassungen?
HLB: Zuerst werden Neuerungen bei uns intern simuliert, dann auf einem Testroboter in unserer Werkstatt ausprobiert. Wenn dort alles funktioniert, gehen wir mit der neuen Funktion in die Gewächshäuser. Dort testen wir unter verschiedenen Bedingungen – bei Tag und Nacht, mit unterschiedlichen Sorten, bei verschiedenen Lichtverhältnissen. Wenn wir merken, dass etwas zum Beispiel nachts nicht so gut funktioniert, dann wissen wir: Wir müssen gezielt neue Daten sammeln, damit das System auch unter diesen Bedingungen gut performt.
IM+io: Wie läuft die Zusammenarbeit mit Landwirtinnen und Landwirten ab?
HLB: Wir sind früh in den Austausch gegangen, weil wir das Produkt nah an den Bedürfnissen der landwirtschaftlichen Praxis entwickeln wollten. Viele Kontakte bestehen schon seit Längerem. Zusätzlich gehen wir auch auf Messen, wie die GreenTech in Amsterdam, um neue Partnerschaften zu gewinnen. Manchmal sprechen wir aktiv Betriebe an, oft kommen Interessierte aber auch direkt auf uns zu, weil sie merken: Die Personalknappheit wird zum Problem, und eine Lösung wie unsere könnte helfen.
IM+io: Und was sagen die Betriebe? Wie ist das Feedback bisher?
HLB: Insgesamt positiv. Natürlich gibt es anfangs auch Skepsis: Funktioniert das wirklich? Lohnt sich die Investition? Aber wir merken, dass die Offenheit wächst. Viele sagen direkt, das ist genau das, was wir brauchen. Und natürlich hilft es enorm, wenn wir den Roboter live im Einsatz zeigen können – sei es bei Vorführungen im Gewächshaus oder durch Erfahrungsberichte aktueller Kundinnen und Kunden.
IM+io: Ein Roboter ist sicher auch eine Kostenfrage. Wie begegnen Sie dieser Herausforderung?
HLB: Klar, es ist eine Investition. Aber über die gesamte Lebensdauer des Roboters gerechnet, bieten wir ein Modell an, das wirtschaftlich Sinn ergibt. In vielen Fällen ist der Roboter günstiger als menschliche Arbeitskraft. Wir arbeiten auch mit Partnerunternehmen zusammen, die Leasing- oder Finanzierungsmodelle anbieten. Und wir prüfen gemeinsam mit den Betrieben, ob es Fördermöglichkeiten gibt. Unser Ziel ist ganz klar: Der Roboter soll nicht nur Arbeit, sondern auch Geld sparen.
IM+io: Wie begleiten Sie neue Kundinnen und Kunden in der Anfangszeit?
HLB: Aktuell betreuen wir das persönlich. In Zukunft wird es aber Tutorials und Schulungen geben. Die Benutzeroberfläche ist so gestaltet, dass sie durch jeden Schritt führt – intuitiv und ohne technisches Vorwissen. Und mit jeder neuen Kundschaft lernen wir dazu, wo es eventuell noch Fragen gibt. Wir entwickeln unsere Anleitungsmaterialien dementsprechend laufend weiter.
IM+io: Wie produzieren Sie aktuell – auf Lager oder nach Bedarf?
HLB: Im Moment produzieren wir nach Bedarf. Unser Ziel ist es aber, ab nächstem Jahr die Produktion zu skalieren. Dann wollen wir monatlich eine bestimmte Anzahl an Robotern fertigen und ausliefern können.
IM+io: Wenn Sie nach vorne schauen – wo geht die Reise hin?
HLB: Ich sehe auf jeden Fall die Weiterentwicklung auf andere Obst- und Gemüsesorten. Parallel wollen wir BERRY skalieren – sowohl technisch als auch auf neue Märkte, etwa über Deutschland und die Niederlande hinaus. Und langfristig – wer weiß – vielleicht gibt es irgendwann auch eine Version für den Feldeinsatz. Die Idee mit dem Roboter unter freiem Himmel ist definitiv ein Ziel, das wir nicht ausschließen.