„Wir wollen die Digitalisierung nicht als Allheilmittel propagieren, aber ihre Potenziale voll ausschöpfen.“
Im Gespräch mit Jörg Loth, IKK Südwest
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Kurz und Bündig
Die IKK Südwest ist als regionale – für die Bundesländer Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland geöffnete – Innungskrankenkasse nicht nur fest in der Region verwurzelt, sondern auch tief mit ihren Menschen verbunden. Daher investiert sie in digitale Lösungen für die Versicherten sowie die Mitarbeitenden und setzt auf eine enge Zusammenarbeit mit Startups im Digital Health-Bereich. Denn sie ist sich sicher: Digitalisierung schafft Effizienz, spart Ressourcen und verbessert die Gesundheitsversorgung.
Digitalisierung schafft Effizienz, spart Ressourcen und verbessert die Gesundheitsversorgung! Im Interview mit der IM+io spricht Prof. Dr. Jörg Loth, Vorstandschef der IKK Südwest, über innovative digitale Ansätze, die die Versorgung der Versicherten revolutionieren und nachhaltig verbessern.
IM+io: Herr Loth, wie digital leben und arbeiten Sie täglich?
JL: Neben der Nutzung sämtlicher Mobile Devices nehmen digitale Anwendungen, wie zum Beispiel Smart Home-Features zur Steuerung der Funktionen zu Hause, auch in meinem Alltag eine immer größere Rolle ein. Wichtig ist mir bei der Entscheidung für analoge oder digitale Produkte ausschließlich der jeweilige individuelle Mehrwert. So nutze ich Vorbereitungsunterlagen für Besprechungen oder Sitzungen immer noch gerne in Papierform, um gezielt vor- oder zurückzublättern und um schnell Notizen anfertigen zu können.
IM+io: Und wie digital ist die IKK Südwest?
JL: In der Gesamtbetrachtung der Akteure, mit denen wir im Gesundheitswesen unterwegs sind, sind Krankenkassen generell vergleichsweise sehr digital aufgestellt. Das betrifft einerseits digitale Portale und Apps, über die diverse Kundenanliegen abgewickelt werden können. Die kassenindividuelle App, mit der zum Beispiel Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen weitergeleitet werden können, ist keine Seltenheit mehr, sondern vielmehr die Regel. Unter den gesetzlichen Krankenkassen zählt die IKK Südwest wiederum zu den digitalen Spitzenreitern, weil wir stets sehr kundenorientiert denken und uns immer fragen, was unsere Versicherten brauchen und womit wir ihre Selbständigkeit im Gesundheitsprozess stärken und verbessern können. Dies belegen auch vielfältige Rankings, in denen die IKK Südwest regelmäßig in den Top-10 landet, wie zum Beispiel beim renommierten Magazin Focus Money. Besonders heben wir uns in diesen Analysen andererseits aber auch aufgrund unserer digitalen Gesundheitsanwendungen hervor. So können unsere Versicherten zum Beispiel kostenlos die klinisch geprüfte App „Preventicus Heartbeat“ nutzen. Die App misst über die Smartphone-Kamera Pulswellen an der Fingerkuppe und kann so Vorhofflimmern frühzeitig entdecken. Dieses Beispiel zeigt, dass „digital“ auch bedeutet, dass der oder die Einzelne selbst besser vor gesundheitlichen Gefahren geschützt werden kann. Es zeigt aber auch, dass Digitalisierung niemals den Arzttermin ersetzt, aber beides Hand in Hand ein Gewinn für die Gesundheit und die Patientensicherheit sein kann.
IM+io: Welche konkreten Schritte hat die IKK Südwest unternommen, um die Digitalisierung voranzutreiben?
JL: Die IKK Südwest hat bei der Einführung der
„App auf Rezept“ Pionierarbeit geleistet. Unsere Versicherten konnten bereits vor der gesetzlichen Festschreibung digitaler Gesundheitsanwendungen im Sozialgesetzbuch davon profitieren. Auch durch die Einrichtung einer Online-Geschäftsstelle und durch die Entwicklung einer App zur Kassen-Kunden-Interaktion konnten wir zahlreiche Prozesse vereinfachen und sie beschleunigen. Bei unserem Online-Wahltarif „IKK NOW“ für junge Leute wird die app-basierte Kommunikation mit der Kasse sogar prämiert: Je stärker die Versicherten die digitalen Anwendungen nutzen, um so mehr Geld können sie zurückerstattet bekommen.
Eins möchte ich klarstellen: Wir wollen als IKK Südwest die Digitalisierung nicht als Allheilmittel propagieren. Wir wollen sie aber so nutzbar machen, dass sie ihre Potenziale voll ausschöpfen kann. Dazu müssen natürlich auch Organisationsstrukturen geschaffen werden. Wir haben bereits vor Jahren die Digitalisierung und die damit verbundenen Aufgaben durch bestens ausgebildete Mitarbeiter personalisiert: Wir haben bereits vor mehreren Jahren einen CDO, also einen Chief Digital Officer installiert, der sich federführend um die Digitalisierung betrieblicher Prozesse kümmert. Auch beschäftigen wir Health Innovation Manager, zu deren Kernaufgaben digitale Versorgungsinnovationen im Gesundheitswesen gehören. Die gesundheitsorientierte Nutzung von Daten wird immer wichtiger. Damit beschäftigen sich bei der IKK Südwest sogenannte Data Scientists. Wir sind übrigens eine von vier Krankenkassen in Deutschland, die mit dem Healthy Hub ein kassenübergreifendes Format zur Unterstützung von Startups und Innovatoren aus dem Digital Health-Umfeld geschaffen haben. Damit unterstützen wir die Startups mit ihren digitalen Lösungen auf ihrem Weg in die Versorgungslandschaft.
IM+io: Die Vorteile der Digitalisierung für die Versicherten liegen auf der Hand. Welche Vorteile bringt die Digitalisierung für Ihr Unternehmen?
JL: Durch die Digitalisierung werden die Prozesse zum Teil automatisiert und erheblich beschleunigt, wie zum Beispiel bei der Bearbeitung der Anliegen unserer Kunden oder im Rahmen von Abrechnungsprüfungen. Das hat natürlich Auswirkungen auf Themen wie Kundenbindung und -gewinnung und damit auch auf unsere vertrieblichen Aktivitäten. Dazu kommt noch etwas ganz Entscheidendes, was mir sehr viel bedeutet ist: Eine smarte Kundenkommunikation entlastet natürlich auch unsere Angestellten. Durch automatisierte Prozesse können personelle Ressourcen geschont werden.
Für uns ist es auch sehr wichtig, dass wir als IKK Südwest, die mit ihren über 1.500 Mitarbeitern an 21 Standorten in drei Bundesländern aktiv ist, dank der Digitalisierung ortsunabhängig an einer besseren Gesundheitsversorgung für unsere Versicherten arbeiten können.
Dank der Digitalisierung nimmt auch die Verfügbarkeit von relevanten Informationen nicht nur für uns als Krankenkasse, sondern für alle Beteiligten im Gesundheitswesen zu. Zum einen können sich die Patienten im Hinblick auf die Behandlungsqualität einfacher informieren. Zum anderen wird es dem medizinischen Fachpersonal erleichtert, die relevanten Patientendaten, wie Vorerkrankungen oder eingenommene Medikamente, abzurufen. Dank der Nutzung technischer Hilfsmittel wie zum Beispiel der Videokonferenztechnik kann die Gesundheitsversorgung durch die Möglichkeiten der Telemedizin auch ortsunabhängig sichergestellt werden, wodurch sich Versorgungsprobleme wie die medizinisch kritische Versorgung in ländlichen Regionen zumindest teilweise kompensieren lassen. Außerdem können Diagnose- und Therapieentscheidungen mit Hilfe künstlicher Intelligenz zunehmend digital abgesichert werden. Einen weiteren Vorteil stellen auch die vermehrten Möglichkeiten zur Vernetzung der Ärzteschaft untereinander dar, wie beispielsweise die multiprofessionelle Therapieplanung und -abstimmung über digitale Plattformen.
IM+io: Die Digitalisierung hat das Potenzial, Wartezeiten für Kunden zu minimieren, Mitarbeiter zu entlasten und Postläufe zu ersetzen. Wieso geht die Umsetzung allgemein eher schleppend voran?
JL: Die Erschließung digitaler Potenziale erfordert die Anschaffung und auch Umstellung auf neue IT-Systeme. In einem Unternehmen unserer Größe dauern solche Umstellungsprozesse verständlicherweise länger als in einem Privathaushalt. Zudem sind nicht alle unserer Mitarbeitenden auf dem gleichen Stand, was die Digitalkompetenz angeht. Es müssen entsprechende Schulungen vorbereitet und durchgeführt werden. Einen entscheidenden Faktor bei der Implementierung und Umsetzung der Digitalisierung stellt das digitale Mindset der Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter dar. Es ist wichtig, dass die Mitarbeitenden solchen Anwendungen aufgeschlossen gegenüberstehen und sie die Vorteile selbst erkennen.
Bei Digitalisierungsprozessen in der Versorgung sind Krankenkassen auch auf die Mitarbeit anderer Akteure – zum Beispiel der Ärzte und Ärztinnen und Kliniken – angewiesen. Jedoch haben wir als gesetzliche Krankenkasse keinen Einfluss auf deren Bereitschaft oder Umsetzungswillen. Als praktisches Beispiel lässt sich hier die elektronische Patientenakte anführen. Diese kann ihren vollen Nutzen nur entfalten, wenn sie von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten konsequent mit Gesundheitsdaten befüllt und aktiv genutzt wird. Hier ist aber auch der Gesetzgeber gefordert, bestimmte Prozesse und Regelungen bei der Ausschreibung zu vereinfachen, zu entbürokratisieren. Insbesondere bei Beschaffungen sind die Maßgaben oft sehr komplex und sehr zeitaufwendig.
Oft fehlt es auch an den gesetzlichen Rahmenbedingungen. Umso wichtiger ist es für uns als Gesundheitsunternehmen in einem sehr komplexen System weiter an der Umsetzung der Digitalisierung zu arbeiten. Denn Digitalisierung schont, wenn sie richtig funktioniert, nicht nur Ressourcen, sondern kann auch Kosten sparen. Dies führt langfristig zur Entlastung der Solidargemeinschaft aus Versicherten und Betrieben, wovon schließlich alle Beteiligten profitieren.
IM+io: Neben den Chancen und Vorteilen birgt die Digitalisierung auch Herausforderungen. Wo sehen Sie diese für Ihr Unternehmen?
JL: Neuartige Entwicklungen bringen immer auch neue Herausforderungen mit sich. Ein Beispiel im Zusammenhang mit der Digitalisierung ist, dass sich hieraus auch neue Missbrauchspotenziale ergeben – Stichwort: Cyberangriffe & Co. Umso wichtiger ist es, kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu haben, die entsprechende Entwicklungen aufmerksam und auch kritisch beobachten, um geeignete Strategien zu entwickeln und umzusetzen und diesen Herausforderungen zu begegnen. Personal mit entsprechenden Kompetenzprofilen zu finden, ist in Zeiten des viel besagten Fachkräftemangels wiederum eine Herausforderung. Für die Unternehmen ist es wichtig, dass sie die immer komplexer werdenden IT-Strukturen und -Disziplinen beherrschen und dadurch die notwendige stetige Anpassung der internen Organi-
sation sichergestellt wird. Ein Mittel ist es beispielweise, sich als attraktiver Arbeitgeber am Markt zu positionieren. Die kürzliche erhaltene Auszeichnung der IKK Südwest als einer der attraktivsten Arbeitgeber in Südwestdeutschland zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind, diese Herausforderung zu meistern. Angesichts der hochsensiblen Gesundheitsdaten ist der Datenschutz natürlich enorm wichtig. Wir benötigen ein Gesundheitssystem, das Daten unter Einbezug der Versicherten nutzt, aber mit der klaren Konsequenz, dass Missbrauch bestraft wird.
IM+io: Wie lassen sich Datenschutz und Digitalisierung für die IKK Südwest vereinen?
JL: Digitalisierung und Datenschutz sind keine Gegensätze. Vielmehr ist die Einhaltung datenschutzrechtlicher Grundsätze ein wichtiges Qualitätskriterium für unsere digitalen Service- und Versorgungsangebote. Dass entsprechende Qualitätskriterien stets erfüllt sind, wird von unserem Beauftragten für den Datenschutz sichergestellt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber, dass wir datenschutzrechtliche Regelungen nicht überstrapazieren. Problematisch wird es nämlich dann, wenn ein zu strenger Datenschutz zu Lasten der Gesundheit geht oder gar Leben kostet. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn eine kritische Behandlungsentscheidung durch Zuhilfenahme von Patientendaten aus der elektronischen Patientenakte hätte signifikant besser getroffen werden können.
IM+io: Wie treiben Sie die digitale Bildung und Schulung der Mitarbeiter:innen voran, um den digitalen Wandel zu unterstützen?
JL: Wir bieten regelmäßig Seminare für Führungskräfte an, in denen solche Fragestellungen erläutert werden. Auch bei der Personalführung kam es im Zuge der Digitalisierung zu Veränderungen. Die Einbindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Projekten und die Durchführung von Innovation Labs stellen mögliche Beteiligungsformen dar. Zudem müssen alle Angestellten verpflichtend an einer digitalen Schulung zur Erhöhung der Datensicherheit teilnehmen. Daten sind unser höchstes, aber auch empfindlichstes Gut.
IM+io: Welche langfristigen Ziele verfolgen Sie im Hinblick auf die Digitalisierung der IKK Südwest?
JL: Wir möchten die Weiterentwicklung unserer Online-Geschäftsstelle vorantreiben. Zudem ist es unser Ziel, die IKK-App zu einem nutzer-
freundlichen digitalen Ökosystem auszubauen, über das unsere Kunden umfassenden Zugang zu unseren digitalen Service- und Versorgungsangeboten „aus einer Hand“ erhalten und mit individuell nützlichen Tipps und qualitätsgesicherten Informationen rund um Ihre Gesundheit versorgt werden.
IM+io: Zum Abschluss: Wie stehen Sie zu dem allgemeinen Empfinden in der Bevölkerung, dass durch die Digitalisierung Arbeitsplätze weggenommen werden?
JL: Im Gesundheitswesen, in dem akute Personalnot herrscht, sollte weniger die Sorge im Vordergrund stehen, dass besetzte Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, sondern vielmehr, wie sich unbesetzte Arbeitsplätze mit digitalen Unterstützungsmöglichkeiten für das verbleibende knappe Fachpersonal möglichst gut kompensieren lassen. Die Digitalisierung stellt daher eher ein Mittel dar, um den vorherrschenden Fachkräftemangel abzumildern.