IM+io: Herr Kwiatkowski, was waren Ihre Gründe, Bettermarks zu entwickeln und welche waren Ihre ersten Schritte zum Ziel?
AK: Wir als Gründerteam haben ja bereits zuvor ein Unternehmen erfolgreich entwickelt. Mit „Immobilien Scout“ haben wir einen mobilen Marktplatz verfügbar gemacht, der die normale, durchschnittliche Suchzeit nach einer Immobilie für einen Privathaushalt von über vier auf unter zwei Monate senken konnte.
Nachdem wir uns entschieden hatten, „Immo Scout“ zu verlassen, ergab sich für uns die Frage, wo das Internet als nächstes seinen Nutzen entfalten kann. Wir waren sehr schnell überzeugt davon, dass das Internet die Bereiche Gesundheit und Bildung erobern wird, also den sozialen Raum. Wir haben uns schließlich für den Bereich Bildung entscheiden, weil wir dazu einen besonderen Bezug hatten – durch unsere eigene Historie und durch unsere Kinder.
Zunächst wollten wir wieder einen Marktplatz bauen. Wir dachten, wir sammeln unterschiedlichste Inhalte, ordnen diese verschiedenen Curricula zu und bewerten diese anschließend. Auf der Suche nach diesen Inhalten im Netz stellten wir dann fest, dass kaum hochwertige Lerninhalte existierten! Das Lernen einfacher zu machen war mit dem, was wir im Netz gefunden haben, nur in sehr kleinen Einheiten möglich. So war Vokabeln lernen möglich, aber ganz sicher nicht, eine Sprache zu lernen. Es galt also, nicht Inhalte zu sammeln, sondern neue Inhalte zu entwickeln. Wir haben uns entschieden,
mit Mathematik zu starten, denn sie kennt in weiten Teilen „richtig und falsch“, ist dadurch gut digitalisierbar und auch relativ
einfach internationalisierbar. Darüber hinaus ist sie auch mit das wichtigste Fach, um abstraktes Denken zu lernen. Das war der erste Schritt zu Bettermarks, allerdings hatten wir uns das am Anfang zu leicht vorgestellt. Wir dachten, dass in rund zwei Jahren mit 10 Leuten die Schulmathematik aufbereitet sein könnte und stellten dann nach einem halben Jahr fest, dass die Aufgabe doch viel komplexer war. Wir wollten die Software so entwickeln, dass Nutzer zu jeder Eingabe ein hilfreiches Feedback bekommen, dass es zu jedem Aufgabenschritt verständliche Erklärungen gibt und dass das Curriculum mit vielfältigen und abwechslungsreichen Übungen ergänzt wird. Wir haben uns schlussendlich entschieden, dem Konzept treu zu bleiben und den wesentlich höheren Zeit- und Investitionsbedarf zu akzeptieren.
Um die Dimensionen konkret zu machen: mit der Entwicklung des Konzeptes haben wir im Jahr 2008 begonnen, ein fertiges Produkt zum Ausrollen in einem Schulsystem konnten wir Ende 2012 vorlegen, und bis heute haben wir insgesamt 25 Mio. EUR investiert. Der Verkauf der alten Firma ermöglichte uns die nötigen Investitionsmittel, um die ersten Schritte selbst zu finanzieren. Den größten Teil der Investition konnten wir durch Business Angels, die KfW, Holtzbrinck Digital und die Neue Zürcher Zeitung als Gesellschafter aufbringen. Nach acht Jahren sind wir noch nicht profitabel,
auch wenn wir den Break- Even absehbar erreichen werden. Der lange Entwicklungszeitraum und die Tatsache, dass Entscheidungsprozesse in Schulsystemen nicht unbedingt spontan sind, verzögerte die Umsatzentwicklung. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis in vielen Schulsystemen durchgesetzt, dass für eine breite Leistungssteigerung digitale Lehrmittel unverzichtbar sind – die Nachfrage steigt endlich!
IM+io: Was ist nun das Besondere an Bettermarks – auch und gerade im Vergleich zu anderen Tools?
AK: Bettermarks ist das Lernsystem mit dem es möglich ist, das Leistungsniveau der Schüler in der Breite zu steigern, wenn es vom Lehrer unterrichtsbegleitend in seiner Klasse eingesetzt wird. Worauf basiert das? Bei Bettermarks können
die Schüler aus ihren Fehlern lernen. Sie bearbeiten zum Unterricht passende Aufgabenserien, bekommen bei jedem Aufgabenschritt eine Rückmeldung und haben bei Fehlern einen zweiten Versuch. Die Voraussetzung dafür, dass sie aus ihren Fehlern lernen können, ist, dass sie erst einmal Fehler machen können. Das geht nicht mit Multiple-Choice-Aufgaben. Diese sind zwar leicht zu programmieren, aber für unseren Ansatz ungeeignet: Wie sollte die Konstruktion eines rechtwinkligen Dreiecks durch das Ankreuzen der richtigen Lösung gelernt werden? Deshalb können Schüler bei Bettermarks z.B. Geometriekonstruktionen durchführen oder Terme eingeben, ähnlich wie auf einem weißen Blatt Papier. Es erlaubt somit
auch Fehlvorstellungen „zu Papier“ zu bringen. Aber anders als beim Papier erkennen wir die Eingabe und können eine didaktisch sinnvolle, teilweise fehlerspezifische Rückmeldung geben. Und wenn das Feedback dem Schüler noch nicht hilft, sieht er zusätzlich eine ausführliche Erklärung, warum und wie man den Rechenschritt löst. Aber die Erfahrung zeigt, dass unser Feedback hilft: 70% der zweiten Versuche sind korrekt. Jede Aufgabenserie kann beliebig oft wiederholt werden, immer mit anderen Zahlen, damit kein Auswendiglernen erfolgt. Das System erkennt auch Wissenslücken, die weit zurückliegen und weist den Schüler darauf hin, wie er seine Lücken schließen kann. Auf dieser Basis kann jeder Schüler in seinem Tempo lernen.
Aus Sicht der Lehrer ist es so, dass Bettermarks ihnen tagesaktuell die Transparenz darüber liefert, welche Schüler, welche Aufgaben, mit welchem Erfolg erledigt haben und wo deren Defizite liegen. Sie können dann den Schülern mit wenigen Klicks die Übungen zuweisen, die dazu passen. Der Lehrer sieht z.B., dass 60% der Klasse eine Aufgabenstellung und deren Logik nicht verstanden hat und entscheidet daraufhin, das Thema noch einmal vor der Gesamtklasse aufzugreifen. Er erkennt sogar, wer aus der Klasse sich langweilt und wer abgehängt ist. Bettermarks ermöglicht den Lehrern so eine individuelle Förderung aller Schüler. Eine Hauptschullehrerin hat das einmal so formuliert: Mein bestes Drittel rennt jetzt los, die hält keiner mehr auf. Denen gebe ich Bettermarks–Aufgaben, die rechnen und rechnen. Mein zweites Drittel wird jetzt nicht mehr von den Besten stigmatisiert und kann jetzt in seinem eigenen Tempo lernen. Und für das letzte Drittel, das eigentlich abgehängt war, habe ich jetzt Zeit, kann es motivieren, sich mit dem System Bettermarks auseinanderzusetzen, damit die Schüler dort ihre Erfolgserlebnisse erhalten.
Dieses personalisierte Lernen: Jedem Schüler, auch wenn er im Unterricht abgehängt war, wieder seinen Zugang zur Mathematik zu ermöglichen, das ist das, was mit unserem „adaptiven Lernsystem“ erreicht werden kann. Es sind viele Produkte am Markt, aber wenn es um die nächste Generation des Schulbuches und Übungsheftes geht, ist Bettermarks einzigartig.
IM+io: Ist Bettermarks dann jetzt zu Ende erfunden, müssen Sie nur noch die Märkte überzeugen?
AK: Derzeit decken wir die Mathematik der Klassen 5-10 ab. Unser Ziel ist es aber, auch die Lerninhalte von Grundschulen bis zum Gymnasium abzubilden, idealerweise später sogar die Mathematik an den Universitäten. Wir haben aber auch noch weitere Aufgaben: mit Bettermarks werden bereits jede Woche 2 Millionen Aufgaben gerechnet. Dabei werden 400.000 Fehler gemacht. Wir wollen diese Fehler analysieren und daraus lernen: Wo können unsere Aufgaben besser werden? Wo muss unser Feedback besser werden? Wo sind bessere Erklärungen notwendig oder gibt es Lernpfade, die das Lernen noch effizienter machen? Mit der Entwicklung von Bettermarks haben wir eine Plattform für adaptive Lerninhalte entwickelt. Diese Plattform ist zum einen in der Lage die Inhalte, die wir geschaffen haben, sehr intelligent und effizient zu lokalisieren – für unsere Kunden in Holland, Mexiko, England, Uruguay, Österreich oder der Elfenbeinküste. Wir wollen mit dieser Plattform künftig aber auch weitere Schulinhalte aufbauen, vor allem solche, die auf formaler Logik basieren, wie etwa Grammatik oder andere Naturwissenschaften. Außerdem bin ich zuversichtlich, dass wir künftig auch die
richtigen Partner für Unternehmen sein können, die ihre jungen Mitarbeiter weiterqualifizieren wollen und dafür die Lücken schließen müssen, die die Schulbildung bei dem einen oder anderen hinterlassen hat. Um es auf den Punkt zu bringen: Unser Ziel ist es, die Mathematik zu vervollständigen, Deutschland noch breiter zu erschließen, in weitere Länder zu gehen und irgendwann auch weitere Fächer aufzubauen.
IM+io: Bleiben wir bei der Erschließung der Märkte, wo sind die Hürden für Vertrieb und Delivery?
AK: Man kann sich ja die Frage stellen, warum wir noch nicht profitabel sind, obwohl wir schon in so vielen Ländern unterwegs sind: Wir benötigen ein Jahr, um den Markteintritt mit unseren Partnern zu organisieren und die Lokalisierung voranzutreiben. Im zweiten Jahr wird das Ganze pilotiert, um mit den ersten Schulen Erfahrungen zu sammeln. Dann, im dritten Jahr, rollt man aus und der Umsatz beginnt. Unser erster Auslandseinsatz war in Uruguay. Da haben wir uns an einer internationalen Ausschreibung beteiligt. Ende 2012 haben wir sie gewonnen und in 2013 haben wir
dann begonnen, uns im Schulsystem zu verbreiten. Das erste Jahr haben wir zur Hälfte verloren, weil die Lehrer gestreikt haben. Das sind Situationen, die wir hier nicht kennen. Inzwischen machen wir in Uruguay mit bis zu 100.000 Nutzern einen relevanten Umsatz. In Holland haben wir erst in diesem Jahr mit dem Roll-out begonnen – unser Partner Van Dijk Educatie gewinnt dort Schule für Schule. Das nächste Beispiel ist England, wo wir mit dem Schulbuchverlag Collins Learning zusammenarbeiten. Dort beginnt in diesem Schuljahr die Pilotierung, relevante Umsätze werden erst im nächsten Jahr erwartet.
Für uns ist es bei der Internationalisierungwichtig, die richtigen Partner zu finden. Beim ersten Land war es ein wunderbarer Zufall. Ein Mitarbeiter aus unserem Team stammt aus Uruguay und hatte erfahren, dass eine Ausschreibung für adaptive Lehrmittel vorbereitet wird. Uruguay ist ein Vorreiter bei der Digitalisierung des Schulsystems in Lateinamerika. Dort hatte man schon vor Jahren ein „One Laptop per Child Program“ aufgesetzt und die
Schulen nach und nach ans Internet angebunden, dann aber festgestellt, dass das Internet allein noch keinen Einfluss auf den schulischen Lernerfolg hat. Dementsprechend haben sie ihre Ausschreibung auf das adaptive Lernen ausgelegt und das ist genau das, was Bettermarks leistet. So konnten wir die Ausschreibung gewinnen und damit eine starke Referenz, die uns in der Folge z.B. die Zusammenarbeit mit dem Schulbuchverlag Castillo in Mexiko möglich machte. Und so geht es in Lateinamerika weiter. Unseren Partner in Holland haben wir auf einer Konferenz kennengelernt, genauso wie den Partner für die Elfenbeinküste. Die Schulsysteme, die sich mit der Digitalisierung von Bildungsinhalten beschäftigen, suchen nach qualitativ hochwertigen und verfügbaren Lösungen. Da die Entwicklung adaptiver Lernsysteme komplex ist und viel Zeit und Geld beansprucht, kommt in der Regel eine Eigenentwicklung für die Verlage oder Regierungen nicht in Frage. Das ist unsere Chance für eine Partnerschaft.
IM+io: Bettermarks ist – zumindest derzeit – vorrangig als Schulsoftware ausgelegt. Wie hoch ist die Akzeptanz für die neuen Lernformate bei den Lehrern?
AK: Es gibt Lehrer, die immer nach Möglichkeiten suchen, den Unterricht zu verbessern und das Potenzial der Schüler zu heben. Die dazu
notwendige Personalisierung des Unterrichts ist aber ohne entsprechende digitale Unterstützung kaum leistbar. Der Anteil dieser Lehrer ist genauso klein oder groß wie bei jeder anderen Zielgruppe, wenn es um technische Innovationen geht: Die Innovatoren machen nur 1-2% der Zielgruppe aus. Der Rest kommt schrittweise dazu, sobald Vorbehalte und Hürden im Schulsystem Stück für Stück abgebaut werden. Dieser Prozess steht in Deutschland noch ganz am Anfang. Damit er sich beschleunigt, braucht es die Bildungsministerien, die in die Digitalisierung der Schulen investieren und die Lehrer unterstützen, digitale Medien einzusetzen. Das beginnt mit der Auswahl und Zurverfügungstellung wirksamer digitaler Lehrmittel, einer Netzanbindung der Schulen und betrifft weiter bundeseinheitliche Anforderungen für den Datenschutz. Mit dem Einsatz digitaler Medien geht eine Veränderung des Schulalltags einher: Nicht nur, weil Tools wie Bettermarks verfügbar sind, wird der Schulunterricht besser, sondern weil Lehrer dazu passende Unterrichtsszenarien entwickeln. Dazu gibt es bereits etliche Best-Practice-Beispiele, auch bei uns in Deutschland.
IM+io: Ihr Unternehmen hat heute 30 Mitarbeiter, der Weg zur Profitabilität ist noch steinig. Wagen Sie mit uns einen Blick auf die nächsten fünf Jahre. Ist es ihr Ziel, eines Tages als erfolgreiches Unternehmen übernommen zu werden?
AK: Solange man noch eigene Ideen hat, gibt es nichts Schöneres als diese Lösungen in den Markt zu bringen. Wir tun etwas Nützliches, das in einem gesellschaftlich relevanten Umfeld Wirkung erzielt. So etwas vorantreiben zu können, empfinden wir alle als sehr befriedigend. Und deshalb haben wir keinen Zeithorizont, wann wir aufhören wollen. Wo möchten wir hin? In fünf Jahren möchten wir, dass etliche Millionen Schüler auf der ganzen Welt mit Bettermarks arbeiten. Dahin kommen wir, indem wir innerhalb der Länder eine höhere Verbreitung erzielen. In Deutschland sind das heute 300 Schulen, da möchten wir natürlich im fünfstelligen Bereich ankommen. Wir möchten in weiteren Ländern Fuß fassen. In einem weltweiten Maßstab sehen wir uns durchaus als führenden Anbieter für adaptive Lehr- und Lernmittel für den K-12 Markt (Schulsysteme).
IM+io: Das Kerngründerteam von Bettermarks ist 2008 gemeinsam durchgestartet. Warum hat das damals gepasst und funktioniert das auch nach acht Jahren noch?
AK: Wir kannten uns schon seit vielen Jahren, weil wir schon bei Immobilien Scout als Management Team zusammengearbeitet haben. Als dort der unternehmerische Freiraum nach einer Übernahme durch die Telekom wegfiel, haben wir uns überlegt, wo die nächste spannende Herausforderung liegen könnte. Nach einem halben Jahr haben wir uns dann bei Bettermarks zusammengefunden. Wir kannten also unsere Stärken und Schwächen. Was verändert sich, wenn man schon so lange zusammenarbeitet? Erstens weiß man, dass man sich aufeinander verlassen kann und zweitens geht man schnörkellos miteinander um. Wir leben eine offene Diskussionskultur und das ist effektiv und effizient.
IM+io: Zweimal das Wagnis einzugehen, ein Start-up zu gründen erfordert wahrscheinlich eine bestimmte Mentalität?
AK: Es gibt ein schönes Zitat von Jim Collins aus seinem Managementbuch `Good to Great´: „Luck is with the persistent.“ Dieses am Ball bleiben ist das Wichtigste. Wenn wir ein relevantes Problem lösen, dann folgt auch der materielle Erfolg. Wir ticken so, dass wir uns für Ideen und ihre Wirkung begeistern und dann dran bleiben. Dies geht am besten in einem Start-up. Dort haben wir die Freiheit, eigene Ideen umzusetzen und flexibel zu agieren. Uns gefällt auch das zielorientierte Arbeiten in Start-up Unternehmen: Jeder spürt, was er beiträgt und ist froh, dass die anderen im Team mit anpacken.
Die Herausforderung des Start-ups ist seine Instabilität. Man kann sehr schnell durch exogene Faktoren – ein neuer Wettbewerber taucht auf oder eine Finanzierungsrunde platzt – vor dem Nichts stehen. Die emotionale Achterbahn fährt im Start-up schneller und steiler als in etablierten Unternehmen!