In sich immer schneller wandelnden Umgebungen, in denen digitale Transformationen bestehende Geschäftsmodelle überfällig werden lassen, müssen Unternehmen in der Lage sein, Opportunitäten und Innovationen zu identifizieren und auszunutzen. Wissenschaftliche Studien haben verschiedene Faktoren identifiziert, die „unternehmerischen Unternehmen“ dabei helfen, dies zu tun. Das Corporate Entrepreneurship-Benchmarking gibt Ihnen Aufschluss darüber, an welchen Bereichen Sie arbeiten müssen, um zur Spitzengruppe aufzuschließen.
Unternehmertum als Schlüssel zum langfristigen Erfolg
In vielen Branchen haben in den letzten Jahren Wachablösungen stattgefunden. Neu gegründete innovative Start-ups haben etablierte Unternehmen hinter sich gelassen, beispielsweise durch die Entwicklung neuartiger Technologien im Zeitalter der digitalen Transformationen, die alte Lösungen ersetzt haben [1]. So hat WhatsApp einen Großteil des Marktes von SMS übernommen, herkömmliche Telefonie wird über Skype geführt und Uber revolutioniert den Taxi-Markt. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von etablierten Unternehmen, die seit Jahrzehnten im Markt agieren und die es immer wieder geschafft haben, sich unternehmerisch neu zu erfinden. Als prominenteste Beispiele gelten sicherlich Apple, IBM oder GORE, aber auch einige „ältere“ deutsche mittelständische Unternehmen wie DELO werden oft für ihren Unternehmergeist gelobt. Die genannten Unternehmen waren immer hochinnovativ, aber darüber hinaus dem Wettbewerb in der Vermarktung der Innovationen zeitlich voraus und bereit, trotz Risiken Projekte zu treiben, um neue Geschäftsfelder zu entdecken.
Diese Unternehmen zeigen, dass nicht nur Start-ups Innovationstreiber sein müssen, sondern dass unternehmerische Aktivität auch im Kontext etablierter Unternehmen stattfinden kann – ein Phänomen, das man als Corporate Entrepreneurship bezeichnet. Der Lehrstuhl für Unternehmensführung an der TU Dortmund setzt sich seit mehreren Jahren intensiv mit diesem Thema auseinander und zeigt in diversen Studien, dass diese „unternehmerischen Unternehmen“ eine um 13% höhere Umsatzrendite haben als „konservativ“ geführte Unternehmen. Langfristig überleben nur solche Unternehmen, denen es gelingt, sich kontinuierlich an sich verändernde Märkte anzupassen, diese mitzugestalten und die es schaffen, schnell auf Opportunitäten zu reagieren.
Die Grundidee des Corporate Entrepreneurship-Benchmarking
Wissenschaftliche Studien und Berichte von Top-Managern zeigen, dass es gerade für etablierte Unternehmen, die eine gewisse Größe erreicht und eingespielte Strukturen errichtet haben, nicht einfach ist, wieder unternehmerisch und innovativ zu werden [2], [3]. Zudem herrscht Einigkeit darüber, dass Unternehmertum nicht durch einmalige Aktionen gefördert werden kann. Es muss in einer kontinuierlichen Geisteshaltung im Management und gesamten Unternehmen verankert sein. Aber warum schaffen es nur einige wenige Unternehmen in einzelnen Branchen, Corporate Entrepreneurship im Unternehmen zu verankern, während andere daran scheitern, neue vielversprechende Geschäftsfelder zu erkennen und für sich zu erschließen? Warum sind nicht mehr etablierte Unternehmen unternehmerisch? Was machen „unternehmerische Unternehmen“ denn nun genau anders?
Diese Fragestellungen können adressiert werden, indem man Abweichungen zwischen dem eigenen Unternehmen und der größen- oder industriespezifischen unternehmerischen Spitzengruppe identifiziert. Dies kann durch ein Benchmarking geschehen.
Ein solches Benchmarking kann auf Basis der am Lehrstuhl für Unternehmensführung an der TU Dortmund erhobenen Datenbasis durchgeführt werden (www.c-entrepreneurship.de). Bei diesen Studien wurden insgesamt über 1.800 kleine und mittelständische Unternehmen verschiedenster Industriezweige aus dem deutschsprachigen Raum umfassend zu den Themen Top-Management-Team, Fähigkeiten, Organisation und Strategie befragt, um Treiber für Unternehmertum zu identifizieren. Eine Auswahl der abgedeckten Themen bietet Abbildung 1.
Dieses Benchmarking erlaubt es erstmalig, das Konzept des Corporate Entrepreneurship mit seinen Treibern, die bislang nur über Anekdoten (wie der viel zitierten 80:20-Regel bei 3M, die besagt, dass Mitarbeiter 20% ihrer Arbeitszeit frei in Projekte investieren dürfen, die sie interessieren) übermittelt wurden, gesamtheitlich messbar zu machen und so zu verstehen, was unternehmerische Vorbildunternehmen genau anders machen. Auf diese Weise können durch den Vergleich mit „Best in Class“- Unternehmen individuell passende Hebel zur Steigerung von Corporate Entrepreneurship im Unternehmen identifiziert und priorisiert werden.
Das Benchmarking im Einsatz – wie kann RWE unternehmerischer werden?
Zwei Tochtergesellschaften des RWE-Konzerns, die RWE Energiedienstleistungen GmbH und die RWE Effizienz GmbH, haben das Corporate Entrepreneurship Benchmarking eingesetzt. Als Energieversorger ist RWE bereits seit einigen Jahren durch die Energiewende einem besonderen Druck ausgesetzt, neue innovative Geschäftsfelder zu identifizieren und zu besetzen. Entsprechend setzt sich RWE gezielt mit den Themen Innovation und Entrepreneurship auseinander. RWE Smarthome, die Steuerung von Wärme, Licht und Strom im Haushalt per Funk, RWE Mobility, das größte Ladenetz für Elektroautos in Europa, oder zugeschnittene dezentrale Erzeugungs- und Anwendungskonzepte für Strom, Wärme, Kälte und zum Beispiel Druckluft sind Beispiele für innovative Projekte von RWE, die erfolgreich vermarktet werden.
Trotzdem wollten die beiden genannten Tochtergesellschaften noch genauer verstehen, wie unternehmerisches Verhalten der Manager und Mitarbeiter aller Hierarchieebenen gefördert werden kann. Das Benchmarking wurde auf Ebene der zwei Tochtergesellschaften durchgeführt, da solche Einheiten von 500 beziehungsweise 300 Mitarbeitern noch recht homogen sind, was bei einem Gesamt-RWE-Konzern von über 60.000 Mitarbeitern nicht mehr zu erwarten ist. Zudem lassen sich für solche definierten Einheiten besser passende Vergleichsunternehmen identifizieren.
Um ein repräsentatives Bild zu erhalten, haben in jeder Gesellschaft zehn Führungskräfte und Mitarbeiter ihre Einschätzung zu den verschiedenen Themengebieten gegeben. Als vergleichbare Spitzengruppe wurde das „unternehmerischste“ Viertel von Unternehmen vergleichbarer Größe aus der Energieversorgung oder verwandten Branchen definiert. Insgesamt bestand die Vergleichsgruppe aus 65 (für die RWE Energiedienstleistungen) beziehungsweise 63 (für die RWE Effizienz) Unternehmen. Im Folgenden werden einige zentrale Ergebnisse entlang der grundlegenden Kategorien Top-Management, Fähigkeiten, Organisation und Strategie dargestellt. Abbildung 2 veranschaulicht einen Auszug aus den Ergebnissen für die RWE Energiedienstleistungen.
Top-Management
Der Führungsstil des Top-Managements übt einen wesentlichen Einfluss auf den Grad an Unternehmertum des gesamten Unternehmens aus. Entsprechend überrascht es nicht, dass die „unternehmerischen Unternehmen“ im Datenpool des Benchmarking und aus der RWE-Vergleichsgruppe durch einen besonderen Führungsstil gekennzeichnet sind. Ein Management, das eine Vorbildfunktion ausübt und eine unternehmerische Vision der Zukunft lebt, ist sehr förderlich für Corporate Entrepreneurship. Tut es dies, so sind Mitarbeiter eher bereit, selber Risiken einzugehen und Vorschläge einzubringen. Eine Vision für das gesamte Unternehmen hilft, unsichere und risikobelastete Innovationsaktivitäten zu fördern und zu legitimieren und somit Mitarbeitern ein klares Zukunftsbild zu vermitteln. Insbesondere bei der Visionskommunikation konnten für beide RWE-Gesellschaften Entwicklungspotentiale aufgedeckt werden.
Das Top-Management in „unternehmerischen Unternehmen“, so zeigen die Daten, bindet seine Mitarbeiter regelmäßig in Entscheidungen ein, sind es doch gerade operativ tätige Mitarbeiter, die auf neue Ideen bei der Arbeit am Produkt oder mit dem Kunden kommen. Hier zeigte sich bei beiden RWE-Gesellschaften eine erfreuliche Entwicklung, die von den jeweiligen Geschäftsleitungen auch in Zukunft weiter getrieben wird. Der noch verbliebene Abstand zu „unternehmerischen Unternehmen“ der Vergleichsgruppe mag vor dem Hintergrund der Konzernstruktur, in der sich die beiden betrachteten Tochtergesellschaften befinden, nicht ganz überraschend sein. Weitere Verbesserungsmöglichkeiten werden bereits diskutiert.
Außerdem unterstützt eine hohe externe Vernetzung des Top-Managements die Zugänglichkeit für externe Ideen. Dabei stellen sich insbesondere Verbindungen in andere Industriezweige als wertvoll heraus. Oft können Lösungsansätze aus anderen Branchen nach einiger Anpassung für eigene Innovationsvorhaben verwendet werden. Beide RWE-Gesellschaften zeigen in Bezug auf Netzwerke des Top-Managements sehr hohe Werte, sogar leicht über denen der unternehmerischen Vergleichsgruppe. Diese Beobachtung deckt sich mit Berichten des Managements: So berichtet Dr. Thomas Glimpel, Bereichsleiter Geschäftsentwicklung und Kooperationen bei RWE Deutschland, dass RWE im Frühjahr einen Informationsaustausch zwischen eigenen Führungskräften und denen anderer Branchen organisiert hat, um über den Tellerrand zu sehen und Innovationsideen auszutauschen.
Fähigkeiten
Aus dem Datenpool des Corporate Entrepreneurship-Benchmarkings lässt sich ableiten, dass „unternehmerische Unternehmen“ spezielle Fähigkeiten haben, die sie von eher konservativ geführten Unternehmen unterscheiden. Wissen, was die eigenen Kunden wollen, antizipieren, was sie wollen werden und die Umsetzung in entsprechenden Marketing-Fähigkeiten ermöglichen es Unternehmen, Opportunitäten nicht nur aufzuspüren, sondern auch entsprechend zu gestalten. Gleiches gilt auch für die Fähigkeit eines Unternehmens, sich Wissen anzueignen und es zielgerichtet verfügbar zu machen. „Unternehmerische Unternehmen“ investieren demnach substantielle Ressourcen in den Austausch von Wissen zwischen Mitarbeitern. Hier können etablierte Unternehmen sogar einen deutlichen Vorsprung gegenüber Start-up-Unternehmen haben. Je größer und älter das Unternehmen ist, desto mehr Wissen hat es angehäuft, und jeder einzelne Mitarbeiter kann eine Quelle relevanter Informationen sein, insbesondere da innovative Ideen oft „nur“ neuartige Kombinationen bestehender Informationen und Daten sind.
Während die Marketing-Fähigkeiten bei beiden RWE-Gesellschaften bereits sehr hoch, bei der RWE Energiedienstleistungen sogar über dem Durchschnitt der unternehmerischen Vergleichsgruppe ausgeprägt sind, wird in beiden Gesellschaften im Bereich des Wissensmanagements noch an einem weiteren Aufschließen zu den unternehmerischen Vorbildunternehmen gearbeitet. Aus diesem Grund erfolgte hier eine tiefergehende Analyse in die einzelnen Unterdimensionen, welche aufdeckte, dass zwar recht viel Wissen erworben wurde, es den unternehmerischen Vergleichsunternehmen aber aktuell besser gelingt, dieses Wissen im Unternehmen zu verteilen und zu verwerten. Dies stellt bei der Weiterentwicklung von RWE ein Schwerpunktthema dar. So konstatiert Dr. Hanfried Bollmann, verantwortlich für die Geschäftsstrategie bei RWE Deutschland: Es ist herausfordernd, einen Weg zu finden, wie alle Mitarbeiter den jeweils benötigten Wissensträger identifizieren können. Mögliche diskutierte Lösungsansätze hierfür, wie ein übergreifendes Wiki, individuell gestaltbare Informationsfeeds und zentrale Wissensexperten sehen wir als vielversprechende Ansatzpunkte dabei.
Organisation
Die Organisationsstruktur bestimmt, wie einzelne Mitarbeiter miteinander interagieren. Jeder Mitarbeiter kann Ursprung einer unternehmerischen Idee sein, die aber erkannt und gefördert werden muss. Die Prozesse hierzu muss die Organisationsstruktur liefern. Sehr förderlich ist eine flexible Organisationskultur, in der das Eingehen von Risiken durch die Mitarbeiter gefördert wird und bei der resultierende Fehlschläge nicht bestraft, sondern gegebenenfalls sogar belohnt werden. Ein Management, das den Mitarbeitern Unterstützung für ihre Projekte, zum Beispiel in Form von Ressourcen wie Zeit oder Budget, zur Verfügung stellt und ihnen genug Freiheitsgrade und Eigenverantwortung zur Umsetzung einräumt, entspricht dieser Organisationskultur.
Während die Zusammenarbeit zwischen Abteilungen bei den RWE-Gesellschaften bereits ähnlich zu den unternehmerischen Vorbildunternehmen ausfällt, zeigt sich bei der Organisationskultur Entwicklungspotential, etwa durch mehr Freiheitsgrade in Bezug auf Zeit und Budgets. So könnten zukünftig jährlich definierte Innovationsbudgets für ausgewählte, von Mitarbeitern vorgeschlagene Innovationsprojekte bereitgestellt werden. Überzeugt eine Idee die Vorgesetzten oder eine eigens installierte Kommission, so darf der Mitarbeiter in den nächsten Monaten mit einem bestimmten Budget an dieser Idee arbeiten. Eine andere Möglichkeit, dieses Potential zu heben, mag eigenwilliger klingen, wird aber bei einigen Unternehmen erfolgreich gelebt: Ein jährlicher Award, der die „beste“ gescheiterte Idee prämiert als Zeichen, dass Scheitern als elementarer und „normaler“ Bestandteil unternehmerischer Aktivität nicht zwangsläufig etwas Negatives sein muss.
Strategie
Erfolgreiche Unternehmen haben eine konsistente Strategie, die alles Handeln und Denken im Unternehmen beeinflusst. Daher überrascht es nicht, dass sich die „unternehmerischen Unternehmen“ in der Benchmarking-Datenbank systematisch von konservativen Unternehmen in einigen strategischen Themen unterscheiden. Schon durch die Formulierung und konsequente Verfolgung einer Strategie wird allen Mitarbeitern ein klarer Richtkompass gegeben, der ihnen in unsicheren Innovationsprojekten Halt geben kann.
Das Benchmarking hat für die RWE-Gesellschaften ergeben, dass beide in Bezug auf eine Differenzierungsstrategie bereits Werte aufweisen, die denen der unternehmerischen Vergleichsunternehmen sehr ähnlich sind. Dies ist ebenfalls am Grad der Marktorientierung zu erkennen.
Einige unternehmerische Vergleichsunternehmen sind in der strategischen Innovationsorientierung noch stärker. Dies ist typisch für Unternehmen, die anders als zum Beispiel RWE nicht über ein dominierendes etabliertes Kerngeschäft verfügen: Einerseits soll das Kerngeschäft stark bleiben, andererseits müssen neue Gelegenheiten erkannt und angegangen werden. Einige „Best-Practice“-Beispiele zeigen, dass eine systematische und kontinuierliche Personalentwicklung (wie das „Innovation-College“ von Procter und Gamble mit mehr als einem Dutzend innovationsrelevanter Kurse) hier zumindest langfristig Abhilfe schaffen kann.
Fazit
Das Corporate Entrepreneurship-Benchmarking und das konkrete Fallbeispiel der RWE-Gesellschaften zeigen, dass Unternehmertum auch in etablierten Unternehmen durch eine Reihe von Managementhebeln gefördert werden kann. Entrepreneurship ist damit durchaus kein Thema, das nur Start-ups in ihren ersten Gründungsjahren vorbehalten ist. Es kann auch im Kontext etablierter Unternehmen existieren – Unternehmen können also nicht „zu alt“ oder „zu groß“ sein! Allerdings ist es dort – alleine durch die typischerweise ausgeprägte Größe und die Existenz von bewährten Strukturen – komplexer und schwieriger, ein Umfeld, das unternehmerisches Verhalten der Manager und Mitarbeiter fördert, herzustellen. Das Corporate Entrepreneurship-Benchmarking ist ein Tool, Entwicklungspotentiale durch Vergleich mit unternehmerischen Vergleichsunternehmen zu messen und zu erkennen. Es können dann auf Basis dieser Messungen konkrete individuelle Handlungsempfehlungen zur Stärkung des Unternehmertums, mit allen seinen Vorteilen (wie innovative Ideen, die Grundlage für neue Geschäftsfelder sein können) für das Unternehmen, abgeleitet werden.
Literatur
[1] Anthony, S: “The New Corporate Garage.” In: Harvard Business Review, 9/2012, S. 44-53
[2] Kuratko, D.,Morris, M., Covin, J. Corporate Entrepreneurship and Innovation. 1. Auflage. Cengage Learning
[3] Saadat, S., Shumaila, Y., Engelen, A.: “On Cultural and Macroeconomic Contingencies of the Entrepreneurial Orientation-Performance Relationship.” In: Entrepreneurship Theory and Practice, 38/2014, S. 255-290
Andreas Engelen, Florian Eßer