Im Rahmen dieses Beitrags soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit mittelständische Unternehmen bis hin zu kleinen und mittleren Unternehmen diese Entwicklung proaktiv aufgreifen und als Chance verstehen, um sich im internationalen Wettbewerb gut zu positionieren. Die Betrachtung ist hierbei geprägt durch eine eher strategische Sichtweise, einer ersten explorativen Synopse aktueller empirischer Studien sowie insbesondere durch umfassende Praxiserfahrung in IT-Infrastrukturprojekten in Konzernen und im Mittelstand, was eine vergleichende Sichtweise der unterschiedlichen Unternehmenskategorien erlaubt. Als Kernaussage wird die These vertreten, dass der Mittelstand um die Herausforderungen weiß, jedoch verstärkt zusätzliche Ressourcen und Know-how zur Verfügung stellen muss, um der zunehmenden Komplexität und Tragweite dieser Transformation, insbesondere auch der radikalen Veränderung der Geschäftsmodelle, tatsächlich gerecht zu werden. Umfassende IT-Strategien, die tatsächlich die Wertschöpfung und Innovation im Unternehmen fördern, finden sich heute in der Praxis noch (viel) zu wenig.
Glaubt man aktuellen Marktforschungsstudien, so steht außer Frage, dass das weltweite Datenaufkommen exponentiell wachsen wird. Das Marktforschungsunternehmen IDC rechnet beispielweise mit einem gespeicherten Datenbestand im Internet im Jahre 2020 von rund 320 Zettabyte (Zettabyte = 1 mit 21 Nullen) – ein Wachstum um den Faktor 160 gegenüber dem Jahr 2011. (1) ERIK BRYNJOLFSSON / ANDREW MCAFEE beschreiben in ihrem Bestseller „The Second Machine Age“ sehr eindrucksvoll zahlreiche mögliche Szenarien, welche Auswirkungen und welche Wucht diese Datenflut und eine allumfassende Digitalisierung haben können. (2) Insgesamt stellt sich also für die Unternehmen nicht mehr die Frage nach dem „ob“, sondern danach, „wann und wie“ diese digitale Umwälzung bestehender Geschäftsprozesse und –modelle letztlich erfolgt.
Rechenzentrumsverantwortliche stehen ganz konkret aktuell vor der Herausforderung, diesen Datenmengen durch optimale Planung, Prozessautomatisierung und vorausschauende Analysen und Prognosen ihrer Netz-, Server-, Auslastungs-, Strom-, und Kühlungskapazitäten gerecht zu werden sowie einen ressourceneffizienten Einsatz aller Assets sicherzustellen. Sie brauchen detaillierte Informationen über die Plan- und Ist-Situation aller Schränke, Server, USVs und vieler weiterer Assets. Szenario- und Planungsprozesse müssen daher zwingend vorhanden sein. Untrennbar mit diesen Entwicklungen verbunden ist eine Zunahme der Komplexität, daher kommt der Transparenz über IT- und Telekommunikationsressourcen gerade auch die vertikale Sicht über die verschiedenen Layer hinweg immer größere Bedeutung zu. Diese Transparenz kann zum Beispiel durch eine geeignete Planungs- und Dokumentationssoftware erzielt werden.
Die Bedeutung dieses Megatrends ist allein schon ökonomisch betrachtet exorbitant. Die Analysten von Roland Berger prognostizieren, bis 2025 könne Europa im Bereich der digitalen Transformation der Industrie einen Zuwachs von 1,25 Billionen Euro an industrieller Bruttowertschöpfung erzielen, aber auch einen Wertschöpfungsverlust von 605 Milliarden Euro erleiden. (3)
A small business is not a little big business!
In der ökonomischen Forschung gilt nach wie vor das Paradoxon, dass zahlreiche Modelle und Theorien keine Unterscheidung spezieller Unternehmenskategorien vornehmen und im Zweifel sogar Forschungsergebnisse eher nur von großen Unternehmen oder Konzernen umsetzen lassen. Dass aber eine differenzierte Betrachtung von Unternehmenstypen und -größen sinnvoll ist, wird schnell ersichtlich, wenn man sich mit den typischen Charakteristika mittelständischer oder gar kleiner und mittlerer Unternehmen beschäftigt. Unabhängig von quantitativen Abgrenzungsmerkmalen – das Institut für Mittelstandsforschung Bonn definiert mittelständische Betriebe als Unternehmen mit maximal 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei höchstens 50. Mio. Euro Umsatz – sind es gerade die qualitativen Merkmale, die den Mittelstand ausmachen. Diese sind die starke Rolle der Inhaber beziehungsweise Gründer, üblicherweise beschränkte finanzielle und personelle Ressourcen, was die Unternehmensentwicklung angeht sowie das Thema persönliche Haftung beziehungsweise Verantwortung, die wiederum Auswirkungen auf Risikobereitschaft und Innovationsverhalten haben. Daher gilt auch der Satz: A small business is not a little big business! Die Bedeutung des Mittelstands ist unumstritten: Mit rund 99 Prozent aller Unternehmen mit insgesamt rund 60% aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wird der Mittelstand zu Recht als Säule der deutschen Wirtschaft bezeichnet.
Megatrend Digitalisierung ist bei den Unternehmen längst angekommen …
Selbstverständlich setzen sich deutsche Unternehmen, und somit natürlich auch der Mittelstand, schon seit geraumer Zeit mit dem Megatrend Digitalisierung auseinander. Laut einer aktuellen Studie im Auftrag der Commerzbank AG bei 4.000 Unternehmen mit mindestens 2,5 Mio. Umsatz sehen die Unternehmen sehr wohl die großen Vorteile und Chancen der digitalen Transformation und setzen daher in Teilbereichen bereits groß angelegte Maßnahmen um. Neue digitale Technologien können künftig hohen Nutzen für die Etablierung neuer Geschäftsmodelle und der Nutzung weiterer Effizienzpotenziale mit sich bringen. Die Autoren dieser Studie verweisen auch explizit darauf, dass 15% der befragten Unternehmen bereits heute einen starken Nutzen aus der fortschreitenden Digitalisierung ziehen. (4)
Dies deckt sich auch mit unseren IT-Projekterfahrungen in Konzernen beziehungsweise größeren Unternehmen, denen es mitunter auf beeindruckende Weise gelingt, die Digitalisierung der Geschäftsprozesse in Wertschöpfung umzuwandeln. Zunächst bedeutet Digitalisierung ja leider auch, dass Kundenansprüche und Kosten schneller wachsen, als dies beispielsweise vielen Serviceprovidern recht sein kann. Wenn aber beispielsweise produkt- und servicerelevante Informationen in einer zentralen Datenbank zusammengefasst werden, kann die Leistung der Bereitstellung erhöht und damit Effizienz gesteigert werden. Best-Practice-Dashboards können integriert werden, um anhand von Analysen Servicestatus und -entwicklung der IT-Services schneller bewerten zu können. Services lassen sich mit einem intelligenten Self-Service-Portal vermarkten: Der einfache Konfigurationsprozess erlaubt es selbst fachfremden Anwendern, diese zu konfigurieren und zu bestellen. All diese Effizienzsteigerungen schaffen mehr Zeit für die Beschäftigung bei und mit dem Kunden.
… aber es fehlen die Transparenz und das Gesamtkonzept
In der Praxis lassen sich jedoch in Unternehmen zwei Phänomene erkennen. Zunächst fällt in vielen Unternehmen auf, dass Nutzen und Anwendungsmöglichkeiten der digitalen Transformation erkannt werden, jedoch die IT-infrastrukturellen Voraussetzungen für eine umfassende Vernetzung und Integration der Systeme gar nicht ausreichend gegeben sind. Ein Beispiel aus dem Bereich der intensiven Vernetzung von Serverlandschaften über mehrere internationale Standorte in einem Unternehmen soll dies verdeutlichen: Wo früher die Auswirkungen und Effekte einzelner Hardwarekomponenten im Rechenzentrum direkt sichtbar waren, sind jetzt zum Beispiel internationale Konzerne aber eben auch zunehmend mittelständische Unternehmen über VPNs oder Cloudlösungen in verschiedenen Zeitzonen miteinander verbunden. Woher Daten kommen, wie groß die physikalische Ressourcenauslastung tatsächlich ist, ist ohne entsprechende Tools so einfach gar nicht mehr nachvollziehbar. Anderes Beispiel: Zur Verwaltung und Einrichtung virtueller Server wird oft herstellerspezifische Software genutzt. Aufgrund der wachsenden Dynamik in virtualisierten Umgebungen und der Möglichkeit, „schnell mal eben“ einen Testserver einzurichten, besteht die Gefahr, Lizenzverstöße zu begehen und über die Zeit unnötige, kostenintensive Ressourcen bereitzustellen, die nicht mehr benötigt werden. Die Übersicht zu behalten ist nicht einfach. Letztlich besteht also für die Unternehmen die große Gefahr, bei all der Komplexität den Überblick zu verlieren.
Auf der anderen Seite und auch als logische Konsequenz einer gewissen Intransparenz ist auffällig, dass eine tiefergehende Integration der digitalen Transformation in die Geschäftsmodelle hinein im Mittelstand noch nicht wirklich stattfindet. Wenn also beispielsweise mehr als die Hälfte der befragten mittelständischen Unternehmen einer Studie von IDC der Meinung sind, dass sich ihr Geschäftsmodell nicht nachhaltig verändern muss, um erfolgreich zu bleiben, dann deutet das auf eine gewisse Sorglosigkeit hin. (5)
Und in der Tat lassen dann auch die Studienergebnisse von Roland Berger auf eine „große Durchdringungslücke“ in Bezug auf den Reifegrad der Anpassungsfähigkeit an die digitale Transformation insbesondere im Mittelstand schließen. Es fehlen flächendeckend Konzepte und ganzheitliche Strategien in den Unternehmen zu der Frage, wie die digitalen Entwicklungen Grundlage innovativer Geschäftsmodelle werden können. Wird hier nicht auch ein kultureller Wandel auf den Managementebenen forciert, ist bereits jetzt prognostizierbar, dass sich mittelfristig die Wettbewerbsposition dieser Unternehmen verschlechtern wird.
Konkreter Maßnahmenkatalog für die Entwicklung hin zum digitalen Unternehmen
Die Konsequenzen insbesondere für mittelständische Unternehmen sehen wir insbesondere in zweierlei Hinsicht: Zum einen besteht aus mehreren Gründen die Notwendigkeit zur Schaffung eines Optimums an Transparenz und zur Reduktion der Komplexität der eigenen IT- und Netzstrukturen, damit den Anforderungen der digitalen Transformation Rechnung getragen werden kann. Unternehmen sollten aus Effektivitäts- und Effizienz-, aber auch aus Sicherheits- und Lizenzierungsaspekten heraus ihre IT- und Netzstrukturen „im Griff haben“. Das ist derzeit in vielen Fällen, insbesondere auch im Mittelstand, nicht der Fall. Auf dieser Basis müssen dann Analysen durchgeführt werden und Konzepte entstehen, wie zukunftsfähige Geschäftsmodelle auf der Basis der digitalen Transformation aussehen können. Abbildung 1 zeigt einen entsprechenden Handlungsbedarf, den wir erwarten:
- Der Umgang mit der zu erwartenden Datenflut muss bewältigt und entsprechende Prozesse und Tools eingeführt werden.
- Nicht zuletzt hierfür bedarf es dem Aufbau von zusätzlichem IT-Know-how, um dies umsetzen zu können. Trends und technologische Entwicklungen müssen abgeschätzt und bewertet werden können − möglicherweise auch unterstützt durch externe Dienstleister.
- Die eigenen IT- und Netzstrukturen müssen transparent und planbar sein. Ohne Transparenz sind strategische Anpassungen nicht effizient umsetzbar.
- Die Veränderungen innerhalb der Geschäftsmodelle müssen analysiert werden, ganzheitliche Konzepte und innovative Modelle müssen entstehen. Dafür bedarf es auch eines kulturellen Wandels in den Führungsetagen.
Wir empfehlen folgende Implementierungsstrategie:
Schritt 1: Erarbeitung einer Konzeption mit Prioritäten – digitaler Kompass hin zum digitalen Unternehmen
Im Zusammenspiel mit verschiedenen Fachabteilungen, der Geschäftsleitung, aber auch mit externen Dienstleistern liegt auf der Hand, dass es ein Gesamtkonzept geben muss, wohin sich das Unternehmen digital und technologisch in den nächsten Jahren entwickeln will. Gefordert werden muss ein „Digitaler Kompass hin zum digitalen Unternehmen“. Für den Start hat es sich bewährt, „alle“ an einen Tisch zu holen und über Herausforderungen, Problemstellungen und gemeinsame Interessen nachzudenken. Sehr wichtig sind in diesem Zusammenhang auch eine Analyse der relevanten technologischen Trends und Entwicklungen. Auf diese Weise entsteht ein digitaler Kompass mit Prioritäten, Meilensteinen und konkreten Maßnahmen.
Schritt 2: Pilotanwendungen und Datensammlung im Bereich des Infrastrukturmanagements als Grundlage für ein digitales Unternehmen
Aktuell ist feststellbar, dass verschiedene Technologien und Ansätze noch zu häufig als Insellösungen gesehen und betrieben werden. Hierin liegt ein ganz entscheidender Erfolgs- oder Misserfolgsfaktor in digitalen Transformationsprozessen. Eine zumindest in Ansätzen vorhandene einheitliche und durchgängige Datenbasis kann in diesem Zusammenhang technologisch und konzeptionell einen Durchbruch bedeuten. Basis aller Ansätze muss daher eine Dokumentation der vorhandenen Infrastrukturen in einem durchgängigen Datenmodell sein, von der Physik bis hin zur Logik. Auch aus Sicherheitsgründen muss eine vollständige und umfassende Dokumentation aller Infrastrukturen erfolgen, weil nur auf Grundlage von Dokumentations- und Planungsinstrumenten im Bereich der Infrastruktur, insbesondere natürlich auch der IT-Infrastruktur, unterschiedliche Technologien und Systeme auch systemübergreifend zusammengeführt und die Vorteile dieser Zusammenführung hin zum digitalen Unternehmen genutzt werden können. Und nur auf Grundlage einer solchen durchgängigen Dokumentation und Planung sind derartige Vorhaben insbesondere eben auch in mittelständischen Unternehmen leistbar, was dort (leider) noch nicht flächendeckend so umgesetzt wird. Ein konkreter Ansatz muss darin bestehen, gemeinsam Pilotanwendungen zu definieren, die eine Erhöhung der Transparenz der Infrastruktur bei gleichzeitiger Arbeitserleichterung bedeuten. Daten zusammenführen, Daten effizient dort vorhalten und zur Verfügung stellen, wo sie im konkreten Anwendungsfall benötigt werden. Unserer Projekterfahrung nach fehlt noch in viel zu vielen mittelständischen Unternehmen eine tatsächliche Transparenz über bestehende Netzstrukturen. Dokumentation, die in Konzernen längst zum Arbeitsalltag gehört, wird im Mittelstand noch zu häufig als lästige, wenn nicht sogar unnötige Kür gesehen – mit teilweise fatalen Folgen. Man denke an Produktions- und Betriebsstillstände aufgrund einer nicht funktionierenden IT, an unnötig lange dauernde Fehlersuche bis hin zu nicht vorhandenen Analysenmöglichkeiten zur Optimierung der Netzstrukturen − undenkbar in einer zukünftig digitalen Welt!
Schritt 3: Effizienzsteigerungen und Nutzen für die Anwender
Für die Akzeptanz von Innovationen und Veränderungen, dies zeigen viele Beispiele, sind die Sichtweise und Erwartungen der Nutzer, aber auch schnelle kleine Erfolge von großer Bedeutung. Können also durch das Vorhaben konkrete und messbare Effizienzsteigerungen beziehungsweise Arbeitserleichterungen erzielt werden? Und treffen wir mit diesem Vorhaben die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden beziehungsweise der User? Denn nur wenn beide Faktoren erfüllt sind, finden die Veränderungen flächendeckenden Einsatz.
LITERATUR
[1] Vgl. hierzu „Cloud-Migration“: Tobias Höllarth. 2013
[2] Brynjolfsson, E; Mc Afee, A.: The Second Machine Age. Pößneck. 2015
[3] Bundesverband der deutschen Industrie (Hrsg.): “Die digitale Transformation der Industrie”: Roland Berger Strategy Consultants. Berlin. 2015
[4] Commerzbank AG: „Management im Wandel: Digitaler, effizienter, flexibler!“, Frankfurt am Main. 2015
[5] IDC Frankfurt: „Digitale Transformation 2015. Ist Deutschland schon bereit?“. 2015
Holger Held, Marc Ruppert