Mit Moos mehr los:
Wie Biofilter und Daten die Städte entlasten
Peter Sänger, Zhengliang Wu, Green City Solutions
(Titelbild: © Adobe Stock | 512684074 | Rick )
Kurz und Bündig
Das Zusammenspiel von Natur und Technologie eröffnet neue Wege für nachhaltige Stadtentwicklung. In biohybriden Modulen übernehmen spezialisierte Moose Aufgaben wie Luftreinigung und Kühlung – gesteuert über mehr als dreißig Sensoren und KI-basierte Algorithmen. Die digitale Moosfarm ermöglicht kontrollierte Aufzucht und Kreislaufbetrieb. Anwendungen wie CityTree, WallBreeze und CityBreeze zeigen das Potenzial im urbanen Raum: Bis zu 82 Prozent weniger Feinstaub, eine Kühlleistung von 6.500 Watt pro Stunde und messbare CO₂-Reduktionen machen die Wirkung sichtbar und skalierbar.
Wo Betonflächen Hitze speichern und Luft zum Atmen fehlt, entsteht eine neue Form urbaner Natur: digital gesteuert, biologisch aktiv und messbar wirksam. Moose werden zu lebenden Filtern, die mit Sensoren, Daten und KI verknüpft sind – sie kühlen, reinigen und reagieren auf ihre Umgebung. So verbindet sich Stadtökologie mit Smart-City-Technologie zu einem System, das Lebensqualität spürbar verbessert. Können Daten der Natur helfen, Städte lebenswerter zu machen?
Moose bieten eine hervorragende Alternative und Ergänzung zu herkömmlichem Stadtgrün. Spezialisierte Arten binden Feinstaub, reduzieren gasförmige Schadstoffe und kühlen aktiv Mikroräume. Gerade in dicht bebauten Städten mit zunehmenden Hitzetagen, hoher Feinstaubbelastung und begrenztem Platz für klassische Begrünung gewinnen kompakte, schnell wirksame Systeme an Bedeutung. Moosbasierte Lösungen schließen hier eine entscheidende Lücke – zwischen technischer Effizienz und natürlicher Regeneration.
In biohybriden Modulen werden diese Eigenschaften maximiert: In Verbindung mit IoT‑Sensorik und datengestützter Steuerung für Ventilations‑ und Bewässerungstechnik entsteht eine skalierbare, multifunktionale Infrastruktur. So lässt sich auf wenigen Quadratmetern hohe Wirkung erzielen. Die zentrale Idee: biologische Leistung planbar und verlässlich nutzbar machen.
Algorithmik und Sensorik
Moose sind zu Erstaunlichem fähig und zudem höchst anpassungsfähig Im dichten Stadtraum – auf belebten Plätzen oder an stark befahrenen Straßen – benötigen die Pflanzen jedoch Unterstützung, um langfristig vital und leistungsfähig zu bleiben. Ein eigens entwickelter Bio‑Algorithmus stellt die bedarfsgerechte Versorgung in Abhängigkeit von Witterungseinflüssen und lokalen Faktoren wie der Luftqualität sicher. Der Algorithmus nutzt Methoden des maschinellen Lernens, um aus historischen Sensordaten Vorhersagen über Trockenstress, Temperaturanstiege oder Schadstoffbelastungen zu treffen. Dadurch lassen sich Bewässerung und Lüftung nicht nur reaktiv, sondern vorausschauend steuern – ein Schritt in Richtung KI-gestützter Umweltregelungssysteme und smarter Stadtinfrastrukturen. Über mehr als 30 integrierte Sensoren und eine verbundene Analysedatenbank werden Parameter wie Durchlüftung und Bewässerung kontinuierlich ausgewertet und so gesteuert, dass die Moose jederzeit optimal versorgt sind und ihre Filter‑ und Kühlleistung entfalten können (siehe Abbildung 1).

Anwendung und Multifunktion
Die spezialisierten Moose fungieren als Hochleistungspflanzen [1]. Sie erlauben gezielte Anwendungen im Innen- und Außenraum, als messbare Maßnahmen gegen Hitze und Schadstoffe. Sie sind in stadttaugliche Module eingesetzt: automatische, sensorgestützte Versorgung; vandalismusresiliente Bauformen; integrierte Visualisierung. In multifunktionalen Konzepten werden klassische Begrünungselemente zur Biodiversität, analoge und digitale Informationsträger, Sitzmöbel, Wassertanks sowie Netzwerktechnik und Ladeinfrastruktur kombiniert.
Solche hybriden Systeme bieten nicht nur ökologische, sondern auch soziale Mehrwerte: Sie schaffen Aufenthaltsqualität, fördern mikroklimatische Resilienz und stärken die Wahrnehmung grüner Technologie im Alltag – ein entscheidender Faktor für Akzeptanz urbaner Innovation. Aufgrund der hohen Verdunstungsleistung lassen sich Synergien mit Regenwassermanagement erschließen, etwa als Zwischenspeicher und zur lokalen Kühlung.
Moosfarm: digitale Kultivierung und Kreislaufbetrieb
Als Pionier der Moosanwendung steht die Kultivierung im Zentrum. Im Mooslabor können geeignete Arten erforscht und für den Anbau qualifiziert werden; in der anschließenden Moosfarm wachsen die „Superpflanzen“ unter kontrollierten Bedingungen bis zu 16‑mal schneller als in der Natur (siehe Abbildung 2, Moosfarm). Dabei werden sowohl ökologische als auch ökonomische Parameter untersucht: Welche Arten liefern den höchsten Filtereffekt bei geringstem Wasserverbrauch? Wie lassen sich Produktionszyklen energieeffizient gestalten? Die Farm dient damit zugleich als Forschungs- und Validierungsumgebung für nachhaltige urbane Begrünungssysteme. Auch die Farm ist voll digitalisiert: Wasser-, Wärme- und Strombedarfe werden sensorisch überwacht und optimal gesteuert. Nachhaltigkeit ist als Kreislauf organisiert – die robusten, wiederverwendbaren Moose kehren nach dem Feldeinsatz postalisch zur „Kur“ in die Farm zurück und können anschließend für weitere sechs Monate Luft reinigen.
Leistung, Monitoring und Validierung
Die regenerativen Bio-Luftfilter und -kühler erreichen in kompakten Modulen hohe Wirkungen: der Effekt von 81 Bäumen auf einer Fläche von 9 m², abfallfreie Luftfilterung bis zu 5.000 m³ pro Stunde, eine Kühlleistung von bis zu 6.500 W pro Stunde (Temperaturdifferenzen bis zu -4 K(°C)), Feinstaubreduktionen bis 82 Prozent sowie eine CO2e-Reduktion von bis zu 342 kg pro Jahr [2]. Die Messungen zeigen nicht nur beeindruckende physikalische Kennzahlen, sondern auch konkrete Umweltwirkungen: In einer typischen Innenstadtlage können Feinstaubkonzentrationen lokal um bis zu ein Drittel sinken und Oberflächentemperaturen um mehrere Grad reduziert werden. Diese Kennzahlen werden in der Praxis über differenzierte KPI-Frameworks verfolgt. Edge- und Cloud-Komponenten erfassen Messwerte, prüfen Datenqualität, steuern Pumpen und Lüfter und erzeugen Transparenz über Dashboards und Schnittstellen.
In wiederkehrenden Messungen wurden die Leistungswerte nachgewiesen und validiert. Forschungspartner sind u. a. das Leibniz‑Institut für Troposphärenforschung (Wirkradius) und das Institut für Luft‑ und Kältetechnik Dresden (Abscheiderate).
Formfaktoren im Stadtraumt
Die Umsetzung zeigt sich in verschiedenen Formfaktoren, die städtebauliche Funktionen mit digitaler Betriebsführung verbinden. Der CityBreeze kombiniert aktive Luftfilterung durch Moose mit einer digitalen Präsentationstechnologie; eine Seite bildet eine grüne Mooswand mit aktiver Filtertechnologie, die Gegenseite einen 75-Zoll-LCD-Screen. Die Kombination aus Information/Anzeige und punktueller Luftqualitätsverbesserung adressiert Orte mit hoher Frequenz und Sichtbarkeit; zugleich können Echtzeitdaten zu Luftqualität und Betriebszustand integriert werden [3]. Der CityTree verbindet Sitzmöblierung mit Biofilterflächen; im Inneren sorgt eine IoT-gestützte Technik für Bewässerung, Luftführung und Monitoring. Er wird auf Plätzen, an stark befahrenen Straßen, in Eingangsbereichen und Industriehallen eingesetzt; ein 43-Zoll-Display kann Luftqualitätswerte und Reinigungsleistung in Echtzeit visualisieren [4]. Der WallBreeze skaliert Biofilter als Fassadenlösung: schlanke, schnell installierbare Module mit aktiver Luftdurchführung und moosspezifischer Oberflächentextur erlauben großflächige Anwendungen an Gebäuden oder im Innenraum und zählen zu den leistungsstärkeren Formen von Fassadengrün [5].

Wirkung kommunizieren
Ein prägnantes Beispiel für die Verbindung von Wirkung und Kommunikation ist auch die Kopplung mit Digital-Out-Of-Home. Werbe- und Informationsflächen werden mit biohybrider Luftreinigung verknüpft: Beim Format „climAD“ wird mit jeder Schaltung zusätzlich Frischluft erzeugt und der ökologische Nutzen sichtbar gemacht. Diese Kombination adressiert stark frequentierte Lagen, schafft Aufmerksamkeit für Umweltqualität und verbindet Ertrag mit Impact – ein typischer „IT for Good“-Anwendungsfall im urbanen Raum und in der Nähe von Shopping-Destinationen [6]
Vom Pilot zum Rollout
Ein typischer Implementierungsprozess beginnt mit einer Standortanalyse (Strömung, Emittentenprofil, Frequenz, Anschlussmöglichkeiten) und stützt sich auf historische Luft- und Klimadaten sowie Prognosen. In einer Pilotphase werden Minderungsraten, Temperaturdifferenzen, Betriebsaufwände und Nutzer:innenwahrnehmung erhoben. Die Ergebnisse fließen in das Tuning von Bewässerung, Lüftern und Serviceintervallen ein. Für den Rollout werden Betriebs-SLAs, Ersatzteillogistik, OTA-Update-Prozesse und ein Observability-Stack (Metriken, Logs, Traces) etabliert. Damit wird das System voll in Smart-City-Architekturen integrierbar – von städtischen Klimadatenplattformen bis zu öffentlichen Energie- und Verkehrsnetzen. Städte können die Wirkdaten über Schnittstellen in ihre Nachhaltigkeitsberichte oder CO₂-Bilanzen übernehmen. Über offene APIs werden Betriebs- und Wirkungsdaten integriert; Kund:innen können Effekte ortsscharf dokumentieren und beispielsweise als Kommunen in Smart-City-Plattformen einspielen.
Fazit
Die Kopplung aus Natur und IT zeigt, wie biologische Funktionen durch Daten messbar, steuerbar und skalierbar werden. Angesichts häufiger Hitzetage und strenger Luftqualitätsanforderungen entsteht eine pragmatische Infrastrukturkomponente. Moosbasierte Biofilter ergänzen herkömmliches Stadtgrün um eine kompakte, schnell wirksame und digital gesteuerte Option. Sie adressieren Luftqualität und Hitze an kritischen Punkten, lassen sich sichtbar machen und in Smart-City-Strategien integrieren. Mit IoT-Betrieb, standardisierten Prozessen und belastbaren Wirkungsnachweisen entsteht eine realistische Brücke zwischen Natur und Technologie – ein Beitrag zu lebenswerten, resilienten Städten. Am Ende steht ein greifbarer Nutzen für Stadtbewohner:innen: sauberere Luft, kühlere Plätze und sichtbare Natur im urbanen Alltag – nicht als Symbol, sondern als messbare Funktion.







