Innovation ohne Umwege:
Von der Forschung in den Markt
Guido Zinke, Institut für Innovation und Technik (iit), im Gespräch mit Milena Milivojevic, IM+io
(Titelbild: © AdobStock | 1327963374 | GenZGraphics )
Kurz und Bündig
Das Institut für Innovation und Technik (iit) begleitet Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Auftrag von Bundesministerien und der EU, berät Politik und Verwaltung und unterstützt Start-ups bei Geschäftsmodellen, Transferstrategien und Investor Readiness. Es analysiert Innovationsökosysteme, entwickelt Förderprogramme und erarbeitet Zukunftsstudien für neue Technologien. Zentrale Themen sind der Abbau bürokratischer Hürden, der Umgang mit geistigem Eigentum, Ausgründungen aus der Wissenschaft sowie Formate wie Leave-Regelungen und Deep-Science-Ventures.
Ein Team hat eine starke Idee, ein neues Produkt, eine mutige Vision. Doch bevor daraus etwas entsteht, warten Ausschreibungen, Förderrichtlinien, Zuständigkeiten. Zwischen Anspruch und Umsetzung liegt oft ein weiter Weg, voller Hürden, aber auch Chancen. Wie gelingt es, Strukturen so zu gestalten, dass Ideen nicht im Prozess stecken bleiben, sondern den Sprung in die Praxis schaffen?
IM+io: Zu Beginn, stellen Sie sich und Ihre Arbeit bitte kurz vor.
GZ: Mein Name ist Guido Zinke. Ich bin Gruppenleiter für Gründungen, Geschäftsmodelle und Innovationsökosysteme bei der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH in Berlin. Unser Team aus rund 1.000 Köpfen ist interdisziplinär aufgestellt – von der Maschinenbauingenieurin über Informatiker bis hin zu Volkswirtinnen, Betriebswirtinnen und Juristinnen. Genau diese Vielfalt bildet die tägliche Arbeit ab: begleitet werden Innovatorinnen und Innovatoren sowie Start-ups sehr praxisnah, gleichzeitig werden Politik, Innovationsagenturen und andere Intermediäre beraten, wie Innovationspolitik operativ gestaltet werden kann. Der Schwerpunkt liegt dabei nicht auf abstrakten Konzepten, sondern auf konkreter Unterstützung entlang von Projekten und Programmen – von der inhaltlichen Mitwirkung bis zur organisatorischen Begleitung in Konsortien.
IM+io: Wie ist die organisatorische Einbettung des iit und der VDI/VDE-IT, und welche Rolle spielt der Projektträger?
GZ: Die Hausorganisation ist die VDI/VDE Innovation + Technik GmbH. Dahinter stehen als Mutterorganisationen zu jeweils fünfzig Prozent der Verein Deutscher Ingenieure und der Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik. Von diesen Verbänden agiert die VDI/VDE-IT im Tagesgeschäft losgelöst und arbeitet im Wesentlichen für öffentliche Auftraggebende. Teil der VDI/VDE-IT ist das Institut für Innovation und Technik (iit), das insbesondere analytische und beratende Tätigkeiten für unterschiedliche Auftraggebende – darunter auch Unternehmen – wahrnimmt. Als einer der großen Projektträger werden im Auftrag der Bundesregierung oder der Europäischen Kommission Förderprogramme entwickelt, umgesetzt, administriert und bewertet. Diese Kombination erlaubt es, Forschung, Beratung und Programmumsetzung eng zu verzahnen.
IM+io: Wie sieht die Begleitung von Forschung- und Entwicklungsprojekten in der Praxis aus?
GZ: Begleitet wird in der Regel im Auftrag eines Bundesministeriums, häufig des Bundeswirtschaftsministeriums. Innerhalb von Förderprogrammen werden F&E-Konsortien inhaltlich und organisatorisch unterstützt. Das Team bringt zusätzliches, oft querschnittliches Know-how ein und nimmt bewusst eine „Devil’s-Advocate-Rolle“ ein: als kritischer Sparringspartner, der Annahmen prüft, fachlich challengt und zugleich als Coach agiert. Die begleiteten Innovationsprojekte laufen oft dreieinhalb bis vier Jahre, die Spannweite reicht von kleineren Verbünden mit wenigen Partnern bis zu großen Konsortien mit zwei Dutzend Beteiligten. Gemanagt werden müssen dabei unterschiedliche Interessen von Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Start-ups, kleinen und mittleren Unternehmen sowie Großunternehmen. Zusätzlich gehört juristische Unterstützung dazu und Querschnittsformate wie Trainings zu Themen wie digitalen Geschäftsmodellen oder Datenschutz, häufig mit externen Expertinnen und Experten.
IM+io: Welche Bedeutung hat die Geschäftsmodellentwicklung innerhalb dieser Innovationsprojekte?
GZ:Die Geschäftsmodellentwicklung ist von einem späten Anhängsel zu einem zentralen und früh verankerten Arbeitsschwerpunkt in FuE-Projekten geworden. Unser Team fordert Konsortien sehr früh auf, Verwertungsstrategien zu klären: Welcher Nutzen wird adressiert, welche Zielmärkte werden verfolgt, wie sehen Geschäfts- und mögliche Betriebsmodelle aus, welche Lizenzmodelle sind plausibel und wann könnte eine Ausgründung sinnvoll sein?
Dabei wird der Blick konsequent vom „Warum“ her geschärft, nicht nur vom „Wie“. Dieser Perspektivwechsel führt bisweilen dazu, Projekte zu fokussieren, Features wegzulassen oder den Schwerpunkt neu zu setzen. Bei Start-ups ist der Nutzenfokus oft bereits verinnerlicht; dort geht es stärker um Bewertung des bestehenden Modells, Schließen von Lücken und die Weiterentwicklung entlang der spezifischen Domäne.
IM+io: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Start-ups in Förderkonsortien?
GZ: Die Zusammensetzung hängt vom Programm ab. In dezidierten Start-up-Förderprogrammen sind es überwiegend Ausgründungen, auch aus Wissenschaft und großen Forschungseinrichtungen. In klassischen Technologieprogrammen entsteht ein Mix. Förderprogramme sind jedoch nicht immer Start-up-freundlich: Liquiditätsanforderungen und der organisatorische Aufwand in großen Verbünden können junge Unternehmen stark binden. Ideal ist eine heterogene Zusammensetzung – Start-up, KMU, großes Unternehmen, Universität und außeruniversitäre Forschung gemeinsam. Wenn die unterschiedlichen Kulturen produktiv genutzt werden, entsteht erhebliches Potenzial. Genau dort setzt unsere Begleitung an: moderieren, fokussieren, Interessen ausbalancieren.
IM+io: Gibt es einen Standardansatz in der Begleitung, oder ist jeder Fall individuell?
GZ: Es existiert ein wiederkehrender Fragenkatalog und ein Rahmen, der sich am jeweiligen Förderprogramm orientiert. Operativ wird zugleich standardisiert, damit mehrere Projekte innerhalb eines Programms effizient unterstützt werden können – in einzelnen Programmen geht es um bis zu fünfzehn bis zwanzig Projekte. Standardisiert werden vor allem Leistungen und Austauschformate, etwa übergreifende Workshops, in denen sich die Projektteams vernetzen. Die eigentliche Befassung bleibt jedoch maximal individuell: Coaching, fachliche Sparrings und das Einsteigen in die spezifische Materie des jeweiligen Verbunds oder Start-ups. Anspruch ist, rasch vom „Anhängsel“ zur echten Partnerrolle zu werden, die Anlaufstelle bietet und mitarbeitet.
IM+io: Wie verlaufen die Zeitachsen der Begleitung, von F&E-Projekten bis zur Start-up-Unterstützung?
GZ: F&E-Projekte sind oft auf drei bis vier Jahre angelegt. Entlang dieser Projektorganisation werden Leistungen zeitlich passgenau platziert: Geschäftsmodellentwicklung als kontinuierlicher Prozess, datenschutzbezogene Beratung beispielsweise dann, wenn Plattformen konkret entstehen. Die Start-up-Begleitung ist deutlich kürzer; üblicherweise wird maximal ein Jahr intensiv gearbeitet. In dieser Zeit werden alle relevanten Leistungen gebündelt – von der Modellprüfung über Markt- und Verwertungsfragen bis zur Investorenansprache. Es gibt Standardbedarfe, gerade in sehr frühen Phasen, zugleich wird stets auf die Domäne zugeschnitten: Ein Team im 3D-Druck benötigt anderes Coaching als ein Team mit einer digitalen Gesundheitsanwendung. Auch personell wird entsprechend gematcht, damit Expertise und Bedarf zusammenpassen.
IM+io: Welche Herausforderungen ergeben sich, wenn Förderprogramme nicht immer Start-up-gerecht sind?
GZ: Förderung ist wichtig, gerade in frühen Phasen und in Deutschland, wo Wagniskapital nicht immer verfügbar ist. Die Passung scheitert häufig an Anforderungen, die Start-ups kaum erfüllen können, und am administrativen Aufwand. Daran wird gearbeitet, und spezielle Start-up-Programme mindern das Beschwerdebild spürbar. In der Begleitung werden Lasten reduziert und Alternativen aufgezeigt: Prozesse verschlanken, Orientierung in der Förderlandschaft geben, Wege jenseits der Förderung öffnen. Ziel ist ausdrücklich Investor Readiness. Nicht, weil Förderung schlecht wäre, sondern weil es riskant ist, in einer „Förderillusion“ zu verharren. Ein Unternehmen muss artgerecht wirtschaften: Umsätze generieren, Kapital einwerben, Kredite nutzen. Förderung kann sinnvoll Kosten anteilig tragen, ersetzt aber kein tragfähiges Geschäftsmodell.
IM+io: Wie sieht die Arbeit an der Schnittstelle zu Politik und Verwaltung aus – von Studien bis Zukunftsforschung?
GZ: Neben der operativen Arbeit mit Projekten und Start-ups gibt es auf der iit-Seite ad hoc Beratungsaufträge und Auftragsforschung. Erarbeitet werden Studien, die Bedarfe fundieren, etwa zu Investitionsfeldern wie nachhaltige Mobilität, Künstliche Intelligenz oder Gesundheit. Ein weiterer Schwerpunkt ist Foresight: Trends und Technologieentwicklungen werden antizipiert, um Politik Orientierung zu geben – mit dem Anspruch, die „Sonnenseite“ technologischer Entwicklungen zu stärken und Risiken transparent zu machen. Ergebnisse fließen in evidenzbasierte Papiere ohne große Interpretationsspielräume, ergänzt durch Workshops und Gesprächsformate über Governance-Ebenen hinweg, die Bund, Länder und europäische Ebene zusammenbringen. Ein besonders spannender Auftrag ist die Mitwirkung am Büro für Technikfolgenabschätzung beim Bundestag gemeinsam mit Partnern: Hier werden Abgeordnete fachlich „aufgeschlaut“ – eine Aufgabe, die bis zu den Anfängen unserer Organisation in den siebziger Jahren zurückreicht.
IM+io: Wo hakt es beim Transfer von Forschung in Wertschöpfung – und warum?
GZ: Die Forschungsqualität in Deutschland und Europa ist sehr hoch, viele Entwicklungen – auch im Umfeld der Künstlichen Intelligenz – haben europäische Wurzeln. Schwächer fällt oft die wirtschaftliche Verwertung aus: bei Patenten, Lizenzen und vor allem bei Ausgründungen. Gründe sind vielfältig. In der Wissenschaft fehlt es an Gründungsdynamik, was auch an der Organisation der großen Forschungslandschaft liegt. Ausgründungen sind angestrebt und hinreichend unterstützt, obwohl sie effizient Wissen verwerten.
Es mangelt an Kapital, gerade für wissenschaftsbasierte Gründungen, die schnell sehr viel Geld benötigen; Investoren agieren zudem risikoavers. Transferbedingungen sind nicht optimal, der Umgang mit Schutzrechten ist anspruchsvoll, Lizenzen können teuer sein. Ein politisches Beispiel ist die jüngst eingestellte Planung für die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation, die vor Betriebsaufnahme beendet wurde. Hinzu kommen Bürokratie und eine Mentalität, die Investitionen stärker prüft als ermöglicht.
IM+io: Es entsteht der Eindruck, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen Talente ungern in Gründungen ziehen lassen. Woran liegt das – und wie lässt sich dieser Zielkonflikt auflösen?
GZ: Es geht nicht darum, dass Forschung Talente grundsätzlich hält; Transfer ist ausdrücklich Auftrag der Hochschulen, und mit Lizenzen wird Geld verdient. Problematisch sind oft Bewertungen und Lizenzforderungen, die Ausgründungen überfordern. Ein Beispiel verdeutlicht das Problem: Eine Ausgründung im Bereich Batteriezelltechnologie wurde durch die TU, aus der heraus gegründet werden sollte, mit einem geistigen Eigentum bewertet, dessen Marktwert sich an einem großen internationalen Technologiekonzern orientierte – im Millionenbereich.
Für ein junges Team ohne Kapitalbasis ist eine solche Einstiegshürde kaum zu bewältigen. Gleichzeitig wird an vielen Stellen versucht, diese Strukturen zu verändern: Bürokratie abzubauen, veraltete Verfahren zu überdenken und den Umgang mit Schutzrechten pragmatischer zu gestalten. Wann sich die Effekte solcher Ansätze zeigen, hängt von der Komplexität der Probleme ab – doch die Richtung stimmt: weniger Hürden, mehr Umsetzung.
IM+io: Wie lässt sich die Gründungsdynamik in der Wissenschaft steigern?
GZ: Die Entwicklung ist positiv: Qualitativ starke Start-ups entstehen zunehmend aus der Wissenschaft. Von den heute bestehenden rund 21.000 Start-ups in Deutschland bilden einige tausend Deeptech-Teams einen wichtigen Kern. Nötig bleibt, Ausgründungsprozesse zu vereinfachen, den Umgang mit der Übertragung von Schutzrechten (IP-Rechten) zu verbessern und Universitäten sowie außeruniversitäre Einrichtungen verbindlicher auf höhere Transferraten auszurichten. Entrepreneurship sollte in die Curricula – besonders in MINT – und durch gründungsaktive Professorinnen und Professoren praktisch verankert werden. Denkbar wären universitäre Beteiligungsfonds, die frühe Finanzspritzen ermöglichen.
Attraktiv ist die Idee von Leave-Regelungen: für ein bis zwei Jahre aus der Hochschule gründen und mit Jobgarantie zurückkehren können. Anreizsysteme müssen sich ändern; wissenschaftliche Karrieren belohnen Publikationen, nicht Gründungen. Spannend ist hier das Modell „Promovieren über Gründung“, etwa vom britischen Accelerator Deep Science Ventures, das die wissenschaftliche und unternehmerische Seite zusammenführt.
IM+io: Welche drei praxisnahen Tipps ergeben sich aus der Start-up-Begleitung für Gründungsteams?
GZ: Erstens: Als Eigentümerin oder Geschäftsführer arbeitet eine Person am Unternehmen, nicht „im“ Unternehmen. Der Blick gehört auf Strategie, Organisation und Wachstum, nicht nur ins operative Tagesgeschäft. Zweitens: Ein Geschäftsmodell muss marktgerechte Gehälter für das Team tragen können. Wenn dies nicht gelingt, braucht es eine grundlegende Überarbeitung. Drittens: In wachsenden Start-ups verdienen manche Rollen – häufig im Vertrieb – mehr als die Gründungsperson selbst, und mit steigendem Umfang kann ein Managementwechsel sinnvoll werden. Wer ein Zehn-Personen-Team führt, ist nicht zwingend dieselbe Person, die ein Unternehmen mit hundert Mitarbeitenden steuert. Diese Realität zu akzeptieren, schützt das Geschäftsmodell und erhöht die Chancen, Wertschöpfung aus Innovation tatsächlich zu erreichen.







