Glück als Geschäftsmodell:
Wie Finnland Zufriedenheit zur Wirtschaftskraft macht
Risto Vuohelainen, Business Finland
(Titelbild: © Adobe Stock | 393373189 | Tartila )
Kurz und Bündig
Finnland gilt als eines der glücklichsten Länder der Welt und verbindet gesellschaftliche Zufriedenheit mit wirtschaftlicher Stärke. Vertrauen in Institutionen, flexible Arbeitsmodelle und umfassende Sozialstrukturen schaffen die Basis für Produktivität und Innovation. Programme wie die „Leading Company Initiative“ fördern Kooperationen zwischen Unternehmen, Forschung und Start-ups und treiben technologische Entwicklungen gezielt voran. So zeigt Finnland, dass Wohlbefinden, Vertrauen und wirtschaftlicher Erfolg kein Widerspruch sind, sondern sich gegenseitig verstärken.
Wenn Zufriedenheit zur Strategie wird, verändert sich, wie eine Wirtschaft funktioniert. In Finnland misst sich Erfolg nicht allein in Zahlen, sondern auch in Vertrauen, Zusammenarbeit und Lebensqualität. Unternehmen setzen auf flache Hierarchien, flexible Arbeitszeiten und ein Klima des gegenseitigen Respekts. Kann Glück wirklich zum Motor für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit werden?
Glück bedeutet mehr als nur Freude und Fröhlichkeit. Vielmehr geht es darum, mit sich, seinem Leben und den Chancen, die sich einem bieten, zufrieden zu sein. Im globalen Ländervergleich liegt die finnische Bevölkerung dabei vorne – wie der Weltglücksbericht der UN acht Mal in Folge zeigte. Die Basis für eine solche Zufriedenheit ist eine funktionierende Gesellschaft: starke Demokratie, geringe Korruption, soziale Sicherheit.
Finnlands zweiter Platz im Korruptionswahrnehmungsindex 2024 [1] belegt die Integrität des politischen und wirtschaftlichen Systems. Zudem zeigte die OECD Trust Survey 2023 [2] ein hohes oder moderat hohes Vertrauen von 47 Prozent der finnischen Bevölkerung in öffentliche Institutionen (zum Vergleich: der OECD-Durchschnitt liegt bei 39 Prozent, der deutsche Wert bei 36 Prozent [3]). Eine wichtige Grundlage für eine zufriedene Bevölkerung.
Vertrauen, Zufriedenheit und Unterstützung am Arbeitsplatz
Darauf baut Finnland seinen wirtschaftlichen Erfolg und seine Innovationskraft auf: So lag die durchschnittliche Zufriedenheit mit dem Job in Finnland 2023 bei 7,9 von 10 – der EU-Durchschnittswert liegt bei 7,4; der deutsche Wert bei 7,2 [4]. Bei der European Workforce Study 2025 [5] belegte Finnland den 6. Platz im Bereich Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen: 65 Prozent stimmten der Aussage „This is a great place to work“ zu. Und laut Arbeitslebenbaromter 2024 des finnischen Ministeriums für Wirtschaft und Beschäftigung nehmen mehr als vier von fünf Arbeitnehmer:innen eine Atmosphäre des Vertrauens am Arbeitsplatz wahr – wo offen kommuniziert wird, Angestellte gleichbehandelt und Konflikte gelöst werden [6].
Ein Großteil der Unternehmen in Finnland investiert zudem proaktiv in das Wohlbefinden und die kontinuierliche Weiterentwicklung ihrer Teams – durch umfassende Gesundheitsdienste, individuelle Kompetenzentwicklung und eine hierarchiearme Kommunikation. Unternehmen sichern sich dadurch nicht nur die Loyalität ihrer Mitarbeiter:innen, sondern auch wertvolles Know-how: ein entscheidender Faktor im globalen Wettbewerb um Fachkräfte.
Work-Life-Balance: Das finnische Beispiel
Dabei liegt im Zentrum der finnischen Arbeitskultur keine reine „Anwesenheitskultur“, sondern eine ergebnisorientierte Mentalität. Diese wird durch eine flexible Gesetzgebung wie dem „Working Hours Act“ gestützt. Angestellte können ihre Arbeitszeiten individuell festlegen; die Regelung umfasst eine Gleitzeit von vier Stunden am Tag. Innerhalb von vier Monaten können damit bis zu 60 Stunden angespart und flexibel abgebaut werden. Was sehr lange Arbeitszeiten angeht, liegt Finnland mit 5,2 Prozent der Arbeitnehmer:innen deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 12,3 Prozent [7].
Gleichzeitig sichert ein gesetzlich verankertes Recht auf bezahlbare Ganztagsbetreuung (Kitas) die volle Teilhabe am Arbeitsmarkt. Anders als die dezentrale Regelung in Deutschland, sind die Gebühren in Finnland flächendeckend einkommensabhängig [8]. Die Kommunen sind verpflichtet, jedem Kind einen Betreuungsplatz in dem von den Eltern gewünschten Umfang zur Verfügung zu stellen – unverzüglich und ohne bürokratische Hürden. 2024 befanden sich 80 Prozent der Kinder in Finnland zwischen eins und sechs in frühkindlicher Betreuung und Bildung – über 90 Prozent der Vier- und Fünfjährigen [9].
Produktiv und innovativ – dank Flexibilität
Gehen aber die Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung und der Fokus auf Work-Life-Balance zu Lasten der Produktivität? Im Gegenteil, wie das BIP pro geleistete Arbeitsstunde zeigt: mit 82,96 US-Dollar lag Finnland 2023 klar über dem OECD-Schnitt von 70,62 US-Dollar. Auch das finnische Ranking im Global Innovation Index (2024) [10] spricht für sich: Hier belegt Finnland weltweit unter den Hochlohnländern den siebten Platz; im europäischen Vergleich den vierten. Im European Innovation Scoreboard [11] nimmt Finnland den dritten Platz unter den EU Innovation Leaders ein.
Zudem investiert das Land massiv in Forschung und Entwicklung: mit einem Anteil von 3,16 Prozent des BIP, der bis 2030 auf 4 Prozent erhöht werden soll – dazu hat sich die Regierung verpflichtet. Darüber hinaus gehört Finnland bei der Umsetzung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) durchweg zu den führenden Ländern weltweit und belegt im SDG-Index 2025 erneut den ersten Platz.
Vertrauen, Glück und eine Arbeitskultur, die auf Unterstützung und Autonomie baut, bieten demnach einen Nährboden für Kreativität und Innovation. In diesem Zusammenhang zeigt der Blick nach Finnland, wie wertvoll branchen- und länderübergreifende Kollaboration sein kann.

Leading Company Initiative: Kooperation als Innovationstreiber
Ein bedeutendes Beispiel ist das Förderprogramm „Leading Company Initiative“, das 2020 von Business Finland ins Leben gerufen wurde. Das Programm ermutigt finnische sowie in Finnland niedergelassene große Unternehmen dazu, kollaborative Ökosysteme mit KMU und Forschungseinrichtungen innerhalb ihrer Branche zu schaffen und damit Forschung, Entwicklung und Innovation erheblich voranzutreiben.
Die Besonderheit des Programms liegt darin, dass große Unternehmen ausdrücklich als „Ankerpartner“ agieren: Sie initiieren Projekte, an denen kleinere Firmen und Forschungseinrichtungen gleichberechtigt teilnehmen. Dadurch entsteht ein dauerhaftes Innovationsnetzwerk statt kurzfristiger Förderpartnerschaften.
Dafür erhalten sie bis zu 20 Millionen Euro an Fördermitteln, die sie zur Unterstützung von Start-ups und F&E-Aktivitäten einsetzen. Indem lokale Tochtergesellschaften internationaler Unternehmen führende Rollen einnehmen können, fördert die Initiative zudem internationale Zusammenarbeit.
Gemeinsam sollen die Ökosysteme zukünftige Herausforderungen bewältigen, Arbeitsplätze schaffen und mit ihren Innovationen einen Mehrwert für die finnische Bevölkerung erzielen. In der Praxis bedeutet dies, dass Unternehmen, Universitäten und Start-ups regelmäßig in gemeinsamen Projekten, Workshops und Testumgebungen zusammenarbeiten, um Lösungen zu entwickeln, die anschließend direkt in marktfähige Produkte oder Dienstleistungen überführt werden können.
Zudem sollen die kumulativen Investitionen in Forschung und Entwicklung um 1,5 Milliarden Euro steigen. Werden die individuellen Ziele der Ökosysteme nicht erreicht, resultiert das in einer erheblichen Kürzung der Förderung.
Mittlerweile wurden insgesamt 23 Unternehmen ausgewählt, die über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren gefördert werden – mit insgesamt 792 Millionen Euro (Stand: Oktober 2024).
Eine Zwischenbewertung des Programms aus dem Jahr 2024 [12], für die das Forschungsinstitut VTT und das Beratungsunternehmen MDI Projektberichte der teilnehmenden Unternehmen analysierte, zeigt: Für die Zielerreichung war insbesondere die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen und Forschungseinrichtungen entscheidend.
Die Partnerschaften haben zur Entwicklung neuer Technologien, Lösungen und Geschäftsmodelle geführt. Ein Beispiel hierfür ist das „Unlocking industrial 5G“-Programm von Nokia und 120 Ökosystem-Partnern, das die digitale Transformation ausgewählter Branchen vorantrieb – durch Forschung und Entwicklung in den Bereichen System-on-Chip, intelligentes Wassermanagement oder KI-basierte Situationserkennung in der Industrie. Das Projekt umfasste zehn nationale und EU-weite Forschungsprojekte, Investitionen von 200 Millionen Euro und 200 zusätzliche F&E-Stellen in Finnland.
Neben gestiegenen Investitionen zeigt die Zwischenbewertung des Programms Verhaltensänderungen bei den beteiligten Unternehmen – etwa eine höhere Kooperations- und Investitionsbereitschaft von KMU.
Letztlich bestätigt die Auswertung das Potenzial der Leading Company Initiative für die finnische Wirtschaft und Gesellschaft: nicht nur für das Erreichen des Investitionsziels von 4 Prozent des BIP in F&E, sondern auch für die Beschäftigungsziele der teilnehmenden Unternehmen. Während große wie kleine Unternehmen von Wissensspillovern profitieren können, erhalten insbesondere KMU Zugang zu neuem Wissen, Technologien und Best Practices, die ihr Wachstum und ihre Entwicklung fördern – ein Beleg dafür, dass der kooperative Ansatz der Schlüssel für eine florierende Wirtschaft ist.
Der Erfolg der analysierten Ökosysteme wird durch die Förderung der Initiative ausgebaut, hängt jedoch stark von den beteiligten Unternehmen ab: von ihrer Bereitschaft zur gemeinsamen Gestaltung und zum Wissenstransfer, sowie von den persönlichen Kontakten und dem Vertrauen innerhalb der Netzwerke. Entscheidend ist die Qualität der Zusammenarbeit sowie der menschlichen Interaktion.
Potenzielle Antworten auf Deutschlands Wirtschaftsfragen
Angesichts des deutschen Fachkräftemangels mit mehr als 600.000 offenen Stellen und einer Mitarbeiter:innen-Zufriedenheit, die laut Gallup-Untersuchung bei nur 45 Prozent liegt [13], bietet Finnlands Modell praxiserprobte Lösungsansätze für Deutschland. Finnland versteht sich dabei als aktiver Partner für deutsche Unternehmen, um diese Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Mit einem geringen Körperschaftssteuersatz von 20 Prozent [14] und einem Restrictiveness Index von 0,02 [15], der Finnland zu einer der offensten Volkswirtschaften für ausländische Direktinvestitionen macht, schafft Finnland ein attraktives Wirtschaftsumfeld.
Als Grundlage für eine enge Kooperation bietet Finnland deutschen Unternehmen eine Infrastruktur des Glücks, die eine innovationsfreudige und produktive Wirtschaft fördert. Ziel ist, gemeinsam von einem Ökosystem aus Vertrauen und Effizienz zu profitieren und die Zukunft erfolgreich zu gestalten.







