„Bei den Aktivitäten in der digitalen Welt kann und muss man experimentierfreudiger sein“
Im Gespräch mit Peter Stefan Herbst, Chefredakteur Saarbrücker Zeitung
Kurz und bündig:
Auch wenn die Zukunft nach Ansicht von SZ Chefredakteur Peter Stefan Herbst den digitalen Angeboten gehört, wird das Printformat seiner Zeitung noch über viele Jahre hinweg tragen. Die unterschiedlichen Ausspielkanäle zu managen, zu monetarisieren und gleichzeitig die Grundsätze guten Journalismus im Redaktionsteam zu leben, gehört zu seinen besonderen Managementherausforderungen.
Digitale Technologien verändern die Art und Weise, wie Inhalte produziert, verbreitet und konsumiert werden. Das setzt die Medienbranche unter großen Anpassungsdruck. Besonders weit fortgeschritten ist die Digitalisierung bei Printverlagen, die sich zusätzlich zu Anbietern von Online-Medien wandeln müssen, um neue Einnahmequellen zu erschließen. Wie lässt sich dieser digitale Wandel steuern und was muss modernes Management in diesen Zeiten des Umbruchs leisten? Darüber haben wir mit Peter Stefan Herbst, dem Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, die zur Rheinische Post Mediengruppe gehört, gesprochen.
IM+io: Der multimediale Umbau ist auch bei der Saarbrücker Zeitung längst eingeleitet. Welche digitalen Angebote bietet Ihre Zeitung heute?
PS: Wie viele Regionalzeitungen verfügen auch wir über eine große Bandbreite digitaler Kanäle. Dazu gehören das klassische E-Paper, die Website und die App der Zeitung. Die mobile Ausprägung wird immer wichtiger, die Nutzung redaktioneller Inhalte auf mobilen Endgeräten ist schon heute deutlich stärker als auf Desktopgeräten und wächst weiter. Darüber hinaus arbeiten wir sehr intensiv mit unseren elf redaktionellen Facebook-Auftritten. Nach Google ist Facebook unser zweitstärkster Trafficbringer. Neben dem Hauptauftritt bewerben auch einzelne Ressorts und alle Lokalredaktionen ihre besten Beiträge gezielt in ihrer jeweiligen Zielgruppe, damit möglichst viele Nutzer von Facebook den Weg in die SZ-Kanäle und -Angebote finden. Auf WhatsApp bieten wir einen Nachrichtenüberblick an, CleverPush nutzen wir für Pushnachrichten auf den Desktop. Und auch bei Twitter ist das Ziel, Menschen dort abzuholen, wo sie sind, um sie für unsere Beiträge und Angebote zu gewinnen. Doch wie immer bei Social Media, dürfen auch die persönlichen Auftritte von Mitarbeitern nicht unterschätzt werden. Einzelne Redakteurinnen und Redakteure haben sehr hohe Interaktionsraten, besonders dann, wenn der Autor in seiner Community selbst schon eine Marke ist.
IM+io: Von wo kamen die Impulse für die Entwicklung digitaler Angebote? Waren es eher Bottom-up die Journalisten oder Top-down das Verlagsmanagement?
PS: Impulse aus dem Management waren und sind sehr wichtig – vor allem, wenn es um die strategische Ausrichtung des Unternehmens und der digitalen Angebote geht. Ideen kommen dabei auch von anderen Verlagen und Medienhäusern aus Deutschland, Europa und der Welt. Die Branche ist in vielen Fragen auf der Suche nach Best Practice. Das rückläufige Print-Geschäft auf der einen und die Chancen im Digital-Geschäft auf der anderen Seite, befördern Offenheit und Austausch. Auch die nicht immer einfachen Rahmenbedingungen sind ein starker Innovationstreiber.
IM+io: Sind regionale Tageszeitungen besonders durch den multimedialen Wettbewerb belastet?
PS: Der Wettbewerb ist natürlich eine Herausforderung. Heute kann jeder News und Inhalte verbreiten. Gleichzeitig wächst aber auch die Gruppe der Nutzer, die sich sehr genau fragt, welcher Nachrichtenquelle sie wirklich vertrauen kann und die sich bewusst an bekannten Marken orientiert. Das ist wiederum für uns eindeutig von Vorteil. Das zeigt sich zum Beispiel bei jüngeren Zielgruppen, für die ein Print-Abonnement nicht in Frage kommt, bei denen aber unser Digitalangebot ein hohes Ansehen genießt, weil die Marke Saarbrücker Zeitung auch dort als seriös und verlässlich bekannt ist.
IM+io: Gab es einen konkreten Anlass, ein konkretes Datum, an dem der Beginn des Weges in die Digitalisierung festzumachen ist?
PS: Mit sz-newsline.de war die Saarbrücker Zeitung 1993 einer der ersten deutschen Verlage mit einem Internetangebot. 2005 und 2006 hatten wir vor den großen Erfolgen von StudiVZ oder Facebook unter sol.de eine starke, junge Community im Saarland. Nein, aus meiner Sicht gab es kein klares Startjahr, sondern viele Starts, Neustarts und hin und wieder auch einmal einen Fehlstart. Vieles hat funktioniert, manches aber auch nicht. Und anderes hatte nur eine gewisse Halbwertszeit. Das ist nicht schlimm, sondern ein wichtiger Teil des Lernprozesses.
Bei einer gedruckten Zeitung ist man ja eher vorsichtig, wenn es um Veränderungen geht, bei den Aktivitäten in der digitalen Welt kann und muss man experimentierfreudiger sein.
Selbst das klassische E-Paper, das schon über 15 Jahre alt ist, wurde x-fach verbessert und dürfte auch künftig noch weiterentwickelt werden. Es spricht vor allem eine sehr zeitungsaffine Nutzergruppe an, die für dieses in sich geschlossene Inhaltepaket eine erkennbar hohe Zahlungsbereitschaft zeigt. Diese E-Paper-Abonnenten sind allerdings nur unwesentlich jünger als unsere Print-Abonnenten.
Die entscheidende Frage für die Zukunft der Medienhäuser ist, ob es uns gelingt, die hohen Reichweiten, die wir auch bei jüngeren Zielgruppen auf unseren Portalen haben, richtig zu monetarisieren. Im März 2019 haben wir mit saarbruecker-zeitung.de laut Google Analytics erstmals mehr als eine Million Unique User erreicht. Dies ist eine sehr hohe Reichweite, die hochattraktiv für Werbekunden ist. Allerdings gehen hier – wie überall – seit längerem die Preise und damit unsere Refinanzierungsmöglichkeiten für die Erstellung von Inhalten zurück.
Unabhängiger Journalismus wird in der digitalen Welt nur möglich sein, wenn er finanziell nicht allein vom Werbegeschäft abhängt. Deswegen sind erfolgreiche Bezahlmodelle auch im Interesse der Leser.
Wir wollen im Mai 2019 zuerst unsere Auftritte inhaltlich, optisch und in der Usability verbessern und dann mit einem intelligenten Bezahlmodell versehen. Dabei geht es also um die Monetarisierung der redaktionellen Inhalte auf dem Portal, die ja durch aufwändige journalistische Arbeit entstanden sind. Hier haben wir in der Reaktion sogar einen Chef vom Dienst, der sich für ‚Saarbrücker Zeitung‘, ‚Trierischen Volksfreund‘ und ‚Pfälzischen Merkur‘ ausschließlich um das Thema Inhalte-Management und Monetarisierung kümmert. Bei der Neuausrichtung des Portals geht es um die Antwort auf die Frage, welches die Inhalte sind, die dazu führen, dass jemand auf einem Portal eine Zahlungsbereitschaft entwickelt. Es geht darum, die Customer Journey so zu gestalten, dass der Nutzer die Monetarisierung bestimmter Inhalte auch akzeptiert, obwohl es an vielen Stellen im Internet eine vermeintliche Gratiskultur gibt.
Wir sind im Saarland das mit Abstand größte Internetportal, aber das ist ja aktuell nur ein Reichweitenerfolg, dieser muss am Ende auch zu einem wirtschaftlichen Erfolg jenseits des Werbegeschäftes werden.
In den USA und Skandinavien ist man an der Stelle sehr viel weiter als in Deutschland. Das liegt daran, dass man dort sehr viel früher und schneller einen massiven Einbruch der Auflagen und der Werbeeinnahmen erlebte und beidem energischer als hier mit neuen digitalen Geschäftsmodellen entgegentreten musste. Es ist kein Zufall, dass es viele deutsche Medienmanager in die USA und nach Skandinavien zieht, um dort Ideen zu sammeln und Geschäftsmodelle auf ihre Übertragbarkeit zu prüfen.
IM+io: Welche Rolle spielt die Rheinische Post Mediengruppe bei der Digitalisierung – bestehen hier gruppenweite Konzepte, oder geht die Saarbrücker Zeitung einen eigenen Weg?
PS: Die Rheinische Post Mediengruppe spielt für uns eine große und wichtige Rolle. Den Weg alleine zu gehen würde keinen Sinn machen. Dafür gibt es zu viele gute Ideen und technische Möglichkeiten, deren Prüfung uns alleine überfordern würde. Unsere digitalen Angebote sind Partner von ‚RP online‘. Die Rheinische Post betreibt eines der reichweitenstärksten Nachrichtenportalen in Deutschland. Wir profitieren von deren starkem Know-how in Projektmanagement, Softwareentwicklung, Suchmaschinenoptimierung, Trafficmanagement oder Vermarktung. Die inhaltlichen Angebote der einzelnen Medien bleiben sehr individuell und regional geprägt, auch wenn wir überregionale Inhalte austauschen und auf der technischen Ebene sehr eng zusammenarbeiten.
IM+io: Informationen lassen sich heute überall auf der Welt und von jedem kurzfristig online bereitstellen. Wie verändert das die Rolle des Journalisten?
PS: Was sich sicher nicht verändert: Eine gute Geschichte ist und bleibt eine gute Geschichte, egal auf welchem Ausspielkanal. An anderen Stellen verändert sich sehr viel: Durch die Digitalisierung gibt es einen hohen Druck bei Aktualität und Schnelligkeit. Dabei dürfen wir aber nicht den Fehler begehen, schnell unsere Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Wir müssen verlässlich bleiben, wenn wir auch künftig erfolgreich sein wollen.
IM+io: Wie kann man das sicherstellen, wenn Journalisten zum Beispiel auf Twitter unterwegs sind?
PS: Es kommt darauf an, wie Twitter eingesetzt wird. Es gibt Situationen, wo die Nutzung von Twitter für Journalisten sehr wichtig ist, zum einen in der Recherche aber auch als Kanal um die Aufmerksamkeit auf das eigene Produkt zu lenken. Aber es ist wichtig, dass man verantwortungsvoll mit Twitter umgeht. Man sollte diesen Weg nur nutzen, wenn man dazu Talent hat, selbst auf die Gefahr hin, dass jemand anderes auf Twitter schneller ist. Man muss sehr genau aufpassen, dass man auf diesem Kanal nichts tut, das der eigenen Glaubwürdigkeit oder der des eigenen Mediums schadet. Persönliche Tweets von Journalisten haben oft auch Rückwirkungen auf das Medium, für das sie arbeiten.
IM+io: Wie managen Sie dann als Verantwortlicher bei der Saarbrücker Zeitung den richtigen Umgang mit den digitalen Kanälen?
PS: Wir haben allein seit 2016 mehr als 100 Schulungsmaßnahmen in kleinen und in größeren Gruppen durchgeführt, von einfachen Trainings zu „Wie mache ich im Digitalen die beste Überschrift“ bis hin zu Grundsatzvorträgen von digitalen Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft. Viele der Fortbildungsangebote waren Pflichtveranstaltungen für alle Redaktionsmitglieder, aber natürlich ist da noch Luft nach oben. Ich bin froh, dass es unterdessen auch Online-Trainings gibt, bei denen sich jeder nach seiner eigenen Zeiteinteilung und Lerngeschwindigkeit weiterbilden kann. Grundsätzlich ist man nie fertig, schon deshalb, weil sich auch die Technologien und Möglichkeiten ständig weiterentwickeln.
IM+io: Wie haben digitale Angebote und auch die Digitalisierung des journalistischen Arbeitsprozesses bei der Saarbrücker Zeitung den Aufgabenzuschnitt der Journalisten konkret verändert?
PS: Grundsätzlich ist das Arbeiten komplexer geworden, die Arbeitsverdichtung ist größer. Unterschiedliche Ausspielkanäle verlangen auch eine unterschiedliche Aufbereitung eines Themas.
Wir haben anders als andere Zeitungen die Entscheidung getroffen, keine Trennung zwischen Print-Redaktion und der Online-Redaktion vorzunehmen. Die Botschaft ist, jeder arbeitet für alle Kanäle. Das machen allerdings nicht alle Kollegen in gleicher Weise und in der gleichen Intensität. Das liegt nicht nur an der individuellen Befähigung, sondern auch an der konkreten Aufgabe.
Ein Kollege, der sich um Polizeithemen kümmert, muss digital hochaffin und schnell sein. Der erste Ausspielkanal ist hier immer digital, denn Polizeigeschichten sind selten exklusiv. Hier geht es um Schnelligkeit. Andererseits gibt es Themen, die überhaupt nicht von der Tagesaktualität leben, die ausführlich recherchiert sind und thematisch nicht veralten. Hier steht eher die optimale digitale Aufbereitung und Anreicherung im Mittelpunkt.
Wir haben dazu ein kleines Spezialisten-Team, das die Verantwortung für die digitalen Ausspielkanäle trägt. Hier geht es um eine sinnvolle Steuerung, darum, welcher Beitrag wann und wo veröffentlich werden soll und in welcher Frequenz die unterschiedlichen Kanäle bedient werden müssen. Das Team unterstützt auch jene Kollegen, die bei einzelnen Darstellungsformen oder Techniken noch Unterstützung benötigen.
IM+io: Vor welchen grundlegenden Managementherausforderungen stehen Sie selbst als Chefredakteur vor dem Hintergrund der digitalen Transformation der Zeitung?
Grundsätzlich werden unsere Erlöse aus dem digitalen Bereich einen immer größeren Anteil an unseren Einnahmen haben, obwohl die Zeitung in der gedruckten Form für ältere Zielgruppen, deren Lebenserwartung erfreulicherweise weiter steigt, noch über viele Jahre eine attraktive Form sein wird. Doch die Zukunft gehört ohne jeden Zweifel den digitalen Angeboten. Dies und alle sich daraus ergebenden Konsequenzen gilt es für Geschäftsführer, aber eben auch für Chefredakteure, zu vermitteln.
Ich sehe mich in der Redaktion als denjenigen, der einfängt und mitnimmt – im Zweifelsfall auch Notwendigkeiten erklärt und Widerstände zu überwinden hilft. Ein guter Chefredakteur ist immer auch Anwalt der Leserinnen und Leser oder Nutzerinnen und Nutzer. Gerade im Digitalen müssen wir uns noch viel stärker an der Nachfrage orientieren. Die gute Nachricht: Wir haben viele Daten über unsere Nutzer, ihre Vorlieben und Gewohnheiten. Sie gilt es mit Daten-Analysten auszuwerten und für redaktionelle Entscheidungsprozesse verwertbar zu machen. Das ist eine anspruchsvolle, aber spannende Aufgabe, bei der es möglichst viele – idealerweise alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – mitzunehmen gilt.