Viele Manager fragen sich, wie sie das Innovationspotenzial ihres Unternehmens besser ausschöpfen können. Neue Antworten auf diese Frage liefert die Verhaltensökonomie, die an der Schwelle zu einer positiven Erweiterung steht. Zunächst richtet sich der Fokus auf die Entwicklung der wissenschaftlichen Sichtweisen von Managern, dann stehen verhaltensökonomische Aspekte des Innovationssystems von Unternehmen im Blick. An zwei neueren Methoden lässt sich erläutern, wie Manager verhaltensökonomische Erkenntnisse nutzen können.
Entwicklung der wissenschaftlichen Sichtweisen von Managern
In den letzten Jahrzehnten haben verschiedene wissenschaftliche Sichtweisen das Managerbild geprägt. Die neoklassische Ökonomie sieht das Denken und Handeln von Managern weitgehend auf Rationalität reduziert. Obwohl der Manager, der in den Lehrbüchern als rationaler Planer und Nutzenoptimierer beschrieben wird, wenig mit der Realität zu tun hat, nimmt die Erforschung dieser Eigenschaften in der Management-Wissenschaft einen breiten Raum ein.
Demgegenüber verfolgen wichtige Vertreter der Verhaltensökonomie das Ziel, Verhaltensweisen von Menschen in wirtschaftlichen Situationen zu erforschen, die im Widerspruch zur Modellannahme des rational agierenden Homo ökonomicus stehen. Die Verhaltensökonomie berücksichtigt also stärker die Grenzen der Rationalität, und ihr besonderes Interesse gilt der Frage, wann Menschen im Allgemeinen und auch Manager Opfer von kognitiven Verzerrungen werden [1]. Diese Sichtweise hat das Managerbild wesentlich erweitert, allerdings in einer einseitigen Weise. So hat sich die Verhaltensökonomie bislang relativ wenig mit kreativen und schöpferischen Aktivitäten beschäftigt [2].
Wir plädieren daher für eine Erweiterung dieser Sichtweise im Rahmen eines verhaltensökonomisch orientierten Innovationsmanagements. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die stärkere Einbeziehung von strategischer Intuition und unternehmerischer Kreativität. Seit den Arbeiten von Joseph Schumpeter sieht man den Innovator zwar als schöpferischen Gestalter und Zerstörer. Die Rolle von Innovationsmanagern als Gestalter von Innovationssystemen ist bislang aber noch wenig erforscht [3]. Daher liegt die Aufgabe eines verhaltensökonomischen Innovationsmanagements darin, die Interaktionsmuster zwischen Führungskräften, Innovatoren als Mitarbeitern oder Unternehmensgründern, Kunden und weiteren wichtigen Beteiligten an Innovationsaktivitäten besser zu verstehen. Dies zeigt Abbildung 1.
Im Mittelpunkt stehen also die Verhaltensweisen von Menschen im Rahmen des Innovationsgeschehens [4]. Neben den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Akteure spielen dabei auch Rivalität und Widerstand eine wichtige Rolle.
Verhaltensökonomische Aspekte bei den Handlungsfeldern eines Innovationssystems
Die Beschäftigung mit Innovationssystemen hat auf der Ebene von Staaten und Regionen begonnen [5]. Seit einiger Zeit gewinnt eine Forschungsrichtung an Bedeutung, die auch die Innovationsaktivitäten eines Unternehmens als komplexes sozio-technisches System betrachtet. Dieses System steht in einem engen Austausch mit seinem Umfeld, evolviert und erhält so seine Lebensfähigkeit [6].
Beim Innovationssystem eines Unternehmens kommt es auf das Zusammenwirken verschiedener Subsysteme an. Wir unterscheiden zwischen den Bausteinen
- Forschung und Entwicklung
- Innovationsstrategie
- Innovationsmarketing und neue Produktionsmodelle
- innovationsfähige Organisation
- innovationsfördernde Kultur und Wandel sowie
- Wertsteigerung mit Innovationen.
Verhaltensökonomische Aspekte durchdringen alle diese Bausteine und auch wichtige Handlungsfelder, die in den letzten Jahren entstanden sind, wie in Abbildung 2 zu sehen ist.
Im Folgenden skizzieren wir diese Handlungsfelder.
› Innovationsfördernde Kultur und Wandel
Besonders deutlich wird die Verhaltensorientierung beim Baustein Kultur. Die Kultur und das Klima eines Unternehmens werden von einer innovationsorientierten Führung geprägt, was den Erfolg vieler Familienunternehmen ausmacht. Auch die Förderung von individuellen Innovationsfähigkeiten und Innovationsteams ist mit spezifischen Verhaltensweisen verbunden. Eine Kultur-Diagnose kann aufzeigen, wie das Führungsverhalten im Verlauf der Unternehmensentwicklung die Werte und ungeschriebenen Regeln geprägt hat. Kurzfristig zu beeinflussen ist vor allem das Innovationsklima. Der digitale Wandel erfordert gegenwärtig neue Verhaltensmuster, die viele Unternehmen erst erlernen müssen.
› Innovationsfähige Organisation
Eine wichtige Determinante einer innovationsfähigen Organisation ist die Klärung der Innovationsverantwortung auf den Führungsebenen. Die Rolle von Innovationsmanagern kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Viele Unternehmen haben Chief Innovation Officer ernannt. Eine spannende Frage ist, welche Verhaltensmuster erfolgreiche Innovationsmanager auszeichnen. Darüber hinaus arbeiten Unternehmen an einer Verbesserung ihres Ideenmanagements, der Innovationsprozesse und des Managements ihrer Innovationsprojekte. Aus der Software-Entwicklung stammt der Gedanke einer agilen Organisation, der veränderte Verhaltensweisen von Innovationsteams mit sich bringt. Ein weiterer wichtiger Treiber von Verhaltensänderungen sind die Möglichkeiten zur kooperativen Zusammenarbeit auf Software-Plattformen, die der Begriff Innovationsmanagement 2.0 umschreibt.
› Forschung und Entwicklung
Beim Innovationsmanagement 2.0 ergeben sich neue Möglichkeiten zur Leistungssteigerung der eigenen Forschung und Entwicklung. Daneben gewinnen Impulse von außen an Bedeutung. Das Thema Open Innovation setzt allerdings ein spezifisches Verhalten der Offenheit und Kooperationsbereitschaft voraus. Außerdem erlebt das Corporate Venture Management eine Renaissance, bei dem etablierte Unternehmen mit Gründern zusammenarbeiten. Die Lean-Startup-Methode beschreibt ein erfolgreiches Vorgehenskonzept junger Unternehmen. Für etablierte Unternehmen ist dessen Anwendung in der Regel mit erheblichen Lernprozessen verbunden.
› Innovationsstrategie
Aber auch der Erfolg von Innovationsstrategien hängt nicht allein von der Fähigkeit zur rationalen Analyse ab. Eine entscheidende Rolle spielen die Vorausschau und Vorbereitung (Foresight) auf zukünftige Entwicklungen. Beim strategischen Management wird die Zusammenarbeit mit Partnern innerhalb eines Innovationsökosystems immer wichtiger. Dies erfordert Kompetenz in der Orchestierung eines Partnernetzwerks. Viele Technologie- und Innovationsstrategien basieren in erheblichem Maße auf strategischer Intuition. Dies ist zwar keine grundsätzlich neue Erkenntnis. Aber erst seit kurzem gibt es Methoden, die es erlauben, strategische Intuition systematisch im Rahmen von Innovationsprozessen zu nutzen. Ein Thema, bei dem es in besonderer Weise auf die Zusammenarbeit von Organisationsmitgliedern ankommt, ist die Geschäftsmodell-Innovation. Neue technologiegetriebene Geschäftsmodelle stellen für viele Branchen eine Bedrohung, aber auch eine Chance dar, wenn es zum Beispiel gelingt, digitale Trends zu nutzen.
› Innovationsmarketing und neue Produktionsmodelle
Das Innovationsmarketing steht vor der Aufgabe, den Kundenbedarf besser zu verstehen. Digitale Plattformen ermöglichen die Schaffung von neuen Kundenerlebnissen. Bei dieser Experience-Co-Creation arbeiten das Unternehmen und seine Partner eng mit Kunden zusammen, die ihrerseits in Communities agieren. Soziale Medien ergänzen traditionelle Kommunikationskanäle und führen zu neuen Verhaltensmustern, wie zum Beispiel der Sharing Economy. Das Internet der Dinge ermöglicht neue Produktionsmodelle und Logistiksysteme. Verhaltensänderungen bei Themen wie Industrie 4.0 und der additiven Fertigung sind in ihrer Gänze noch schwer zu erfassen. Fest zu stehen scheint aber, dass sich unsere Arbeitswelt an der Schwelle zu einem tiefgreifenden Wandel befindet.
› Nachhaltige Wertsteigerung mit Innovationen
Aus dem Zusammenwirken dieser Bausteine ergeben sich die Möglichkeiten zu einer nachhaltigen Wertsteigerung mit Innovationen. Der Kapitalmarkt bewertet das Verhalten des Unternehmens und seiner Akteure. Innovationen sind zu einem immer wichtiger werdenden Werttreiber geworden. Das klassische Controlling tut sich aber schwer, den Wertbeitrag von Innovation angemessen zu erfassen. Eine Ursache hierfür liegt an den unterschiedlichen Verhaltensmustern von Controllern und Innovatoren. Innovationscontrollern kommt hier eine Brückenschlägerfunktion zu. Sie haben die Aufgabe, die Innovationsfitness ihres Unternehmens – also die Leistungsfähigkeit seines Innovationssystems im Hinblick auf die Herausforderungen im Umfeld – im Rahmen von Innovationsaudits zu analysieren und durch gezielte Maßnahmen zu verbessern. Dabei sind Innovationscontroller nicht nur Rationalitätssicherer, sondern auch Fitness-Coachs, die motivieren und fördern.
Diese Skizzierung der Bausteine und wichtiger Handlungsfelder zeigt, wie vielschichtig die verhaltensökonomischen Aspekte bei der Gestaltung von Innovationssystemen sind.
Nutzung der Erkenntnisse in neuen Methoden
Für diese Bausteine und Handlungsfelder sind zahlreiche Methoden entstanden, die darauf abzielen, die Fähigkeiten von Innovationsmanagern zu erweitern und ihre Verhaltensweisen auf neue Herausforderungen auszurichten. Wir wollen dies an zwei Beispielen verdeutlichen:
1. Der systematischen Nutzung von strategischer Intuition bei der Ideenfindung und
2. der Förderung eines innovativen Klimas durch Design Thinking.
Bei beiden Ansätzen spielen verhaltensökonomische Aspekte eine wichtige Rolle.
› Strategische Intuition bei der Ideenfindung
In seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ beschreibt der Nobelpreis-Träger Daniel Kahneman seine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem anderen großen Verhaltensökonomen Gary Klein beim Thema Experten-Intuition [7]. Während Kahneman sich vor allem mit kognitiver Verzerrung beschäftigt hatte, war Becker an der Frage interessiert, wie zum Beispiel Feuerwehrmänner bei der Brand-Bekämpfung in der Lage sind, aufgrund ihrer Erfahrung in ähnlichen Gefahrensituationen schnell und richtig zu handeln.
Strategische Intuition bei der Suche nach innovativen Lösungen funktioniert aber anders als die Experten-Intuition. Hier geht es darum, eigene und fremde Gedanken zu einer kreativen Idee zu kombinieren. Ausgehend von einer neuen Fragestellung benötigt dieser Prozess Zeit, um sich zu entfalten.
Es ist seit langem bekannt, dass viele innovative Durchbrüche auf einem Wissenstransfer zwischen Branchen basieren [8]. Was bislang bei der Cross-Industry-Innovation aber gefehlt hat, ist eine praktikable Methode für die Suche nach Analogien.
Aufgrund von neuen Erkenntnissen der neurowissenschaftlichen Forschung versteht man heute viel besser, wie Intuition und Systematik zusammenwirken. Das Gehirn arbeitet wie ein intelligentes Gedächtnis, das gespeicherte Elemente verknüpft und so in der Lage ist, kreative Synthesen zu schaffen. Bei einem großen Vorrat an gespeichertem Wissen und Erfahrung erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Neues entsteht oder ein drängendes Problem gelöst wird. Strategische Intuition und Systematik sind also keine Gegensätze.
Auf dieser Erkenntnis baut eine Methode zur systematischen Ideenfindung mit strategischer Intuition auf. Der Prozess besteht aus den folgenden Phasen, die ein Innovationsteam in iterativen Schritten durchläuft [9]:
- das Problem beschreiben
- das Problem in Elemente zerlegen
- nach Lösungsquellen für die Problemelemente suchen
- Lösungsideen für die Problemelemente generieren und
- die Ideen zu einer innovativen Lösung kombinieren.
Bei der praktischen Arbeit hilft es, die einzelnen Problemelemente und Lösungsideen in einer Matrix gegenüberzustellen. Durch die Suche nach Lösungsquellen für einzelne Problemelemente wird der Lösungsspeicher aufgefüllt. Auf diese Weise erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, durch eine Kombination der im Speicher vorhandenen Elemente zu einer innovativen Lösung zu kommen.
Das Vorgehen verdeutlicht, wie neue verhaltensökonomische Konzepte dazu beitragen, die Potenziale von Managern zu erweitern und besser auszuschöpfen. Im Unterschied zu den auf kognitive Verzerrung fokussierten Ansätzen könnte man diese Richtung als „potenzialorientierte Verhaltensökonomie“ bezeichnen, die in der Tradition einer positiven Organisationspsychologie und Führungslehre steht [10].
› Innovationsförderndes Klima durch Design Thinking
Design Thinking ist eine Innovationsmethode, die unter anderem durch die Arbeiten des Design-Unternehmens IDEO bekannt geworden ist. Im Mittelpunkt steht ein human-zentrierter Ansatz, der technische Machbarkeit, ökonomische Lebensfähigkeit und menschliche Bedürfnisse verbindet. Die IDEO-Gründer beschreiben, wie Design Thinking hilft, Vertrauen in die eigene Kreativität zu entwickeln [11].
Ein iterativer Design-Thinking-Prozess findet üblicherweise in einem variabel gestalteten Raum statt und läuft in den folgenden Phasen ab:
- die Problemstellung verstehen
- relevante Akteure beobachten
- eine Synthese schaffen
- Ideen generieren
- mit Prototypen arbeiten sowie
- testen und umsetzen.
Dabei ist es wichtig, dass die Mitglieder eines interdisziplinaren Design-Thinking-Teams über bestimmte Eigenschaften verfügen, zum Beispiel:
- tiefes fachspezifisches Wissen
- eine ganzheitliche Sichtweise von Problemstellungen und Lösungsmöglichkeiten
- Offenheit gegenüber anderen Ansätzen
- Begeisterung für das Ungewisse
- Empathie gegenüber Teammitgliedern und Kunden
- Intuition zur Bewältigung von Komplexität und
- Optimismus als Grundlage für positive Veränderungen.
Diese Teameigenschaften beeinflussen über den Design-Thinking-Prozess das Innovationsklima. Verhaltensorientierte Aspekte, ein spezifischer Prozess und das Klima verstärken sich so wechselseitig.
› Kombination der Methoden
Design Thinking und die systematische Ideenfindung mit strategischer Intuition sind komplementär. Bei beiden Methoden steht am Anfang das Problemverständnis. Design Thinking betont die Eigenschaften der Teammitglieder, das flexible Raumkonzept, die Beobachtung relevanter Akteure und die Arbeit mit Prototypen. Die Ideenfindung mit strategischer Intuition ist eine Alternative zum Brainstorming, das häufig im Rahmen von Design-Thinking-Prozessen eingesetzt wird. Die Suche nach Lösungsquellen und Lösungsideen für einzelne Problemelemente erweitert den Speicher, aus dem dann eine kreative Idee entsteht. Wir betrachten die systematische Ideenfindung mit strategischer Intuition somit als möglichen Teilprozess im Rahmen eines erweiterten oder Extended Design Thinking Dies stellt Abbildung 3 dar.
Fazit
Die Fähigkeit von Unternehmen, das Innovationspotenzial von Menschen zu nutzen, ist eine entscheidende Quelle von Wettbewerbsvorteilen. Ein verhaltensökonomisches Innovationsmanagement schafft hierfür die Grundlage. Die Aus- und Weiterbildung von Managern trägt dieser Erkenntnis bislang zu wenig Rechnung. Ein entsprechender Ansatz erfordert neben einer Disziplinen übergreifenden und stärker Praxis orientierten Forschung und Lehre eine bessere Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik sowie ein entsprechendes Bewusstsein der Verantwortlichen. Die große Herausforderung ist gegenwärtig der digitale Wandel, bei dem es darauf ankommt, eine verbesserte Innovationsfitness unter Beweis zu stellen
LITERATUR
[1] Kahneman, D.: Schnelles Denken, langsames Denken. München. 2011
[2] Csikszentmihalyi, M.: Creativity – Flow and the Psychology of Discovery and Invention. New York. 1996
[3] Servatius, A.G., Piller, F.T. (Hrsg.): Der Innovationsmanager – Wertsteigerung durch ein ganzheitliches Innovationsmanagment. Düsseldorf. 2014
[4] Wördenweber, B., Eggert, M., Schmidt, M.: Verhaltensorientiertes Innovationsmanagement – Unternehmerisches Potenzial aktivieren. Berlin. 2012
[5] Nelson, R.R. (Hrsg.): National Innovation Systems – A Comparative Analysis. Oxford. 1993
[6] Servatius, H.G.: Gestaltung des Innovationssystems von Unternehmen. In: Servatius, H.G., Piller, F.T.: (Hrsg.): Der Innovationsmanager. Düsseldorf. 2014, S. 21-64
[7] Kahnemann, a.a.O., S. 289 ff.
[8] Hargadon, A.: How Breakthroughs Happen – The Surprising Truth About How Companies Innovate. Boston. 2003
[9] Duggan, W.: Creative Strategy – A Guide for Innovation. New York. 2013
[10] Cameron, K.: Practicing Positive Leadership – Tools and Techniques That Create Extraordinary Results. San Francisco. 2013
[11] Kelley, T., Kelly, D.: Creative Confidence – Unleashing the Creative Potential within Us All. London. 2013
Hans-Gerd Servatius