Zwischen Zahnrad und Zelle:
Bioprozesse als Teil industrieller Wertschöpfung
Arber Shoshi, Maximilian Dörr, Yannick Baumgarten, Robert Miehe, Thomas Bauernhansl, Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA

(Titelbild: © AdobeStock I 1438982715 I Angelo )
Kurz und Bündig
Biologische Transformation verknüpft Naturprinzipien mit Digitalisierung und Technik. Ziel ist eine zirkuläre, automatisierte Produktion mit biointelligenten Systemen – etwa in modularen Minifabriken, digitalen Biofoundries oder durch Precision Fermentation. Grundlage sind Sensorik, Robotik, KI und Bioprozesssteuerung. Unternehmen sollten ihre Kompetenzen in Biotechnologie, Automatisierung und IT strategisch verbinden.
Wenn Mikroorganismen Bauteile erzeugen und Algorithmen lebende Prozesse steuern, verschwimmen alte Grenzen zwischen Technik und Biologie. Entsteht hier gerade die Logik einer neuen Industrie? Die biologische Transformation zeigt, wie dezentrale Systeme, Naturprinzipien und digitale Steuerung zusammenspielen können – und welche Chancen daraus für Unternehmen erwachsen. Wie lässt sich dieser Wandel praktisch gestalten?
Nachhaltigkeit ist zu einem gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Imperativ geworden. Aber es bleibt eine zentrale Herausforderung, ökologische Verantwortung mit industrieller Wettbewerbsfähigkeit in Einklang zu bringen. Trotz Fortschritten durch Digitalisierung – etwa Industrie 4.0, Digitale Zwillinge oder Blockchain – reichen technologische Lösungen allein nicht aus, um Wertschöpfungssysteme nachhaltig zu verändern [1]. Die biologische Transformation eröffnet hier einen neuen Innovationspfad. Sie beschreibt den Übergang zu einem Wertschöpfungsverständnis, das auf der Konvergenz biologischer, technischer und informationstechnischer Systeme basiert [2]. Ziel ist eine ressourcenschonende, dezentrale Produktion, die Prinzipien aus der Natur nicht nur nachahmt, sondern systematisch nutzt – etwa Kreisläufe oder Anpassungsfähigkeit. Biointelligente Systeme – also solche, die durch biologische Komponenten oder Prinzipien autonom und adaptiv handeln – stellen dabei einen vielversprechenden Lösungsansatz dar [1, 3].
Ein Beispiel ist die automatisierte On-Demand-Produktion mit biobasierten Materialien über additive Fertigung [4]. Solche Anwendungen machen deutlich, welches transformative Potenzial in der biologischen Transformation liegt – technologisch, ökonomisch und ökologisch.
Vor diesem Hintergrund widmet sich dieser Beitrag der biologischen Transformation als Hebel für eine nachhaltige industrielle Zukunft. Er ordnet das Thema zunächst konzeptionell ein, skizziert die technologischen Grundprinzipien, beleuchtet die globale Wettbewerbsdynamik und zeigt auf, welche strategischen Handlungsoptionen sich daraus für Unternehmen ergeben.
Was ist die biologische Transformation?
Die biologische Transformation meint den Übergang von klassischen Industrieprozessen hin zu Systemen, die sich an der Natur orientieren oder durch biologische Komponenten – wie Zellen oder Enzyme – unterstützt werden [5, 6]. Sie verfolgt das Ziel, wirtschaftliches Handeln innerhalb planetarer Grenzen neu zu gestalten und gleichzeitig die Resilienz und Innovationskraft industrieller Systeme zu steigern.
Im Kern geht es darum, von der Natur zu lernen. Biologische Systeme sind dezentral organisiert, anpassungsfähig und kreislauforientiert im Umgang mit Ressourcen. Diese Prinzipien lassen sich auf Produktion, Logistik, Materialien und Produkte übertragen – und eröffnen so neue Wege zu Nachhaltigkeit und Resilienz [1, 6].
Drei Strategien stehen im Fokus: Erstens, die Nutzung lokaler, erneuerbarer Ressourcen, um globale Abhängigkeiten zu reduzieren. Zweitens, der Aufbau kleiner, autonomer Produktionseinheiten, die sich flexibel in bestehende Prozesse einfügen lassen – sogenannte biointelligente Zellen. Und drittens, neue Formen der Systemarchitektur, bei denen Technik und Biologie auf intelligente Weise verschmelzen.
Durch die Integration digitaler Technologien wie Sensorik, Robotik und Künstlicher Intelligenz entstehen biointelligente Systeme. Kleinskalige, autonome Produktionszellen bilden dabei die Bausteine einer neuen industriellen Logik [3, 7]. Diese können Umwelteinflüsse erfassen, selbstständig reagieren und sich kontinuierlich optimieren.
Das technologische Potenzial ist groß – doch es braucht gezielte Entwicklungsarbeit, um es zu heben. Die Herausforderung besteht darin, biologische und technische Prinzipien nicht nur zu kombinieren, sondern systematisch auf der Grundlage von Automatisierungstechnologie zu integrieren.
Technologieperspektive: Automatisierung macht Biologie industrietauglich
Biologische Prinzipien lassen sich nicht einfach in industrielle Prozesse übertragen. Denn biologische Systeme sind dynamisch, komplex und oft nur schwer steuerbar. Genau hier liegt die technologische Herausforderung der biologischen Transformation: Sie lässt sich nur dann im großen Maßstab umsetzen, wenn die dahinterliegenden Prozesse automatisierbar und digital steuerbar sind.
Damit wird deutlich: Die biologische Transformation ist im Kern ein Automatisierungsthema. Es geht um die Fähigkeit, biobasierte Materialien zu verarbeiten, lebende Systeme zuverlässig zu kultivieren oder adaptive Prozesse in Produktionsumgebungen zu integrieren. Sensorik, Robotik, KI und Bioprozesssteuerung bilden die technologische Basis für diese neue industrielle Realität.
Aktuelle Entwicklungen zeigen, wohin die Reise geht: Additive Fertigung mit biogenen Rohstoffen ermöglicht die ressourcenschonende Herstellung komplexer Bauteile [8].
Digitale Zwillinge biologischer Prozesse ermöglichen die Simulation und Optimierung von Abläufen in Echtzeit. Ein anschauliches Beispiel sind modulare Minifabriken für neuartige Therapeutika, etwa für die personalisierte Herstellung von Zell- und Gentherapien. Automatisierte Produktionssysteme erlauben dabei eine standardisierte, sichere und wirtschaftliche Fertigung in kleinsten Losgrößen – direkt am Behandlungsort [9].
Neben diesen Pilotfabriken gibt es bereits heute kommerziell nutzbare biointelligente Technologien: So ermöglichen künstliche Biofoundries – automatisierte Plattformen zur Bioprozessentwicklung wie vom Unternehmen Gingko Bioworks [10] – die schnelle Entwicklung neuer Enzyme, Mikroorganismen oder biobasierter Materialien. Auch Precision Fermentation, etwa zur Herstellung von milchähnlichen Proteinen ohne Kuh [11], ist auf dem Weg in den industriellen Maßstab und zeigt, wie Biologie, Automation und Skalierung konkret zusammenspielen.
Technologie übernimmt dabei nicht nur eine unterstützende Rolle – sie ist der Schlüssel zur Skalierung. Ohne ein neues Verständnis von Automatisierung, ohne intelligente Systeme und flexible Steuerungen bleibt die biologische Transformation auf den Labormaßstab beschränkt.
Industrieunternehmen sollten deshalb frühzeitig in diese Technologien investieren und sich mit der Frage beschäftigen, wie sich klassische Automatisierungskonzepte auf lebendige, dynamische Systeme übertragen lassen. Nur wer automatisieren kann, kann biologische Systeme sinnvoll in industrielle Abläufe integrieren.
Ein globaler Wettlauf um biointelligente Märkte
Die biologische Transformation ist kein rein akademisches Konzept – sie ist bereits heute Gegenstand intensiver wirtschaftlicher, politischer und wissenschaftlicher Aktivitäten weltweit. Eine aktuelle Analyse zeigt: Der globale Wettbewerb um biointelligente Technologien und Märkte ist in vollem Gange.
In einem internationalen Benchmark wurden in 11 Ländern mehr als 400 Technologien, über 700 Akteure, 5300 Patente und rund 4 Millionen wissenschaftliche Publikationen identifiziert [12]. In den USA – etwa in Boston oder dem Silicon Valley – arbeiten Forschung, Kapitalgebende und Start-ups eng zusammen. Diese Vernetzung treibt Innovationen sichtbar voran. Auch Länder wie China, Israel und Großbritannien fördern gezielt die Verbindung von Biologie, Technik und Digitalisierung. Deutschland verfügt über starke Grundlagen: Biotechnologie, Maschinenbau und Automatisierung zählen zu den Kernkompetenzen. Doch im internationalen Vergleich fehlen oft unternehmerische Dynamik, gezielte Förderprogramme und schnelle Skalierung. Dabei ist das Marktpotenzial riesig: Bis 2040 könnten allein 83 untersuchte Anwendungsfälle der biointelligenten Wertschöpfung rund 1 Prozent des globalen BIPs ausmachen. In Branchen wie Ernährung, Energie, Medizin oder Mobilität entstehen neue Märkte, Produkte und Geschäftsmodelle, die biologische und digitale Innovation vereinen [12].
Handlungsempfehlungen für Unternehmen
Der Wandel hin zur biologischen Transformation stellt Unternehmen vor große Herausforderungen – eröffnet aber auch konkrete Chancen für Innovation und Marktpositionierung. Entscheidend ist es, diesen Wandel nicht passiv zu beobachten oder reaktiv zu adressieren, sondern ihn aktiv zu gestalten. Unternehmen, die frühzeitig strategische Initiativen ergreifen, können nicht nur ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern, sondern auch neue Märkte erschließen und sich zukunftsweisend positionieren.
Bereits heute zieht die Nachfrage auf Kundenseite nach nachhaltigen, biobasierten und digital integrierten Lösungen deutlich an. Insbesondere im internationalen Wettbewerb eröffnen sich durch gezielte Investitionen in die biologische Transformation erhebliche Potenziale – nicht zuletzt, weil bestehende Stärken in Automatisierung und Digitalisierung als Basis für biointelligente Systeme genutzt werden können. Um die sich eröffnenden Möglichkeiten effektiv zu nutzen, sollten Unternehmen:
- ein tiefgehendes Verständnis für das Konzept der biologischen Transformation entwickeln. Dazu gehört die Verbindung klassischer Ingenieursdisziplinen mit digitalen Technologien und biologischen Methoden – etwa Fermentation oder Zellkultur. Nur durch ein ganzheitliches Verständnis der zugrunde liegenden Prinzipien lassen sich Synergien heben.
- eine unternehmensinterne Bestandsaufnahme vornehmen. Wer seinen Reifegrad hinsichtlich biologischer Transformationspotenziale kennt, kann sowohl kurzfristige Chancen identifizieren als auch strukturelle Herausforderungen frühzeitig erkennen.
- auf Basis dieser Analyse strategische Entwicklungspfade definieren. Dabei stehen sowohl die biointelligente Umgestaltung interner Wertschöpfungsprozesse – etwa zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen – als auch die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen im Fokus. Letztlich führen diese Veränderungen zur Etablierung biointelligenter Geschäftsmodelle, die das Fundament für den langfristigen Unternehmenserfolg bilden.
Ein solcher Transformationsprozess ist in den seltensten Fällen alleine zu bewältigen. Vielmehr bedarf es der Kooperation mit Beteiligten aus Wissenschaft, Industrie und Politik, um den Wandel erfolgreich zu gestalten und neue Innovationsökosysteme zu etablieren.
Fazit und Ausblick
Die biologische Transformation markiert einen fundamentalen Wandel in der industriellen Wertschöpfung – weg von linearen, ressourcenintensiven Strukturen, hin zu dezentralen, anpassungsfähigen und nachhaltigen Systemen. Sie vereint biologische Prinzipien mit digitaler Steuerbarkeit und technischer Präzision und schafft damit die Grundlage für eine neue industrielle Logik. Die Potenziale sind enorm: neue Materialien, neue Märkte, neue Geschäftsmodelle. Sie lassen sich allerdings nur heben, wenn Unternehmen, Forschung und Politik jetzt gemeinsam handeln. Die dafür notwendige Technologie ist vorhanden – entscheidend ist der Wille zur Transformation. Deutschland verfügt über exzellente Voraussetzungen: stark in Biotechnologie, Maschinenbau und Automatisierung. Nun gilt es, diese Kompetenzen systemisch zu verbinden und zur Basis eines zukunftsfähigen Industriestandorts zu machen.
Die biologische Transformation ist nicht nur eine Antwort auf ökologische Herausforderungen – sie ist eine wirtschaftliche Chance. Eine, die wir nicht verpassen sollten. Impulse und Vernetzung bieten der Biointelligence Summit und der Biointelligenz-Kongress, die sich im jährlichen Rhythmus abwechseln.
Während der Kongress stärker wissenschaftlich und strategisch ausgerichtet ist, bringt der Summit Anwender:innen, Start-ups und Entscheider:innen aus der Industrie zusammen – so auch am 7. Oktober 2025 auf dem Messegelände Stuttgart. Beide Veranstaltungen bieten ideale Plattformen, um sich praxisnah mit biointelligenten Lösungen auseinanderzusetzen und eigene Transformationspfade zu gestalten.