MeerWert schaffen:
Mit Algen nachhaltig entwickeln
Levent Piker, oceanBASIS im Gespräch mit Milena Milivojevic, IM+io

(Titelbild: ©Adobe Stock | 1028051992 | Kunut )
Kurz und Bündig
oceanBASIS wurde 2001 gegründet und entwickelt Wirkstoffe aus Meeresalgen – insbesondere aus Zuckertang (Laminaria) – für Naturkosmetik und Forschung. In der Anfangszeit kultivierte das Unternehmen in der Kieler Förde bis zu einer Tonne Algenbiomasse pro Jahr. Heute wird diese überwiegend aus nachhaltiger Kultivierung in Norwegen bezogen. Der Fokus liegt auf der Extraktproduktion sowie der Marke Oceanwell. Künstliche Intelligenz wird zur Recherche und perspektivisch für personalisierte Pflegeempfehlungen genutzt. Zudem fließt ein Teil der Erlöse in Meeresschutzprojekte.
Ein zarter Algenfaden im Meer – kaum sichtbar, aber voller Potenzial. Was nach mariner Nebensache klingt, wird zur Basis für Cremes, Forschung und Zukunftsvisionen. Zwischen Kieler Förde, norwegischer Küste und Hightech-Labor entsteht eine Verbindung aus Natur, Wissenschaft und Kosmetik. Wie lässt sich aus Meeresbiologie ein Geschäftsmodell entwickeln, das Meeresschutz, Wirkstoffentwicklung und digitale Innovation vereint? Und was kann Künstliche Intelligenz dabei leisten?
IM+io: Erklären Sie uns bitte, womit sich oceanBASIS beschäftigt.
LP: oceanBASIS wurde 2001 gegründet, damals von drei Meeresbiologen und einem Betriebswirt. Die Anfänge liegen aber schon früher: Wir haben uns zunächst mit Umweltthemen rund ums Meer beschäftigt, zum Beispiel im Rahmen von Umweltgutachten und Schutzprojekten. Daraus entstand dann die Idee, zum Thema Aquakultur ein nachhaltiges Praxisbeispiel beizusteuern. Ich selbst komme aus der mikrobiologischen Richtung der Meeresbiologie und habe mich schon früh intensiv mit den ökologischen Auswirkungen industrieller Aquakultur beschäftigt, etwa in Chile, wo die Lachsindustrie damals stark gewachsen ist. Wir wollten zeigen, dass es auch anders geht – mit weniger negativen Effekten auf Umwelt und Gesellschaft.
IM+io: Und wie sah dieser andere Ansatz konkret aus?
LP: Wir haben uns auf die Kultivierung von Meeresalgen konzentriert, genauer gesagt auf den Zuckertang – eine Laminaria-Art. Das ist eine Alge, die sehr bekannt ist, besonders in Asien, wo sie schon lange angebaut wird. Der große Vorteil ist, dass Algen in der Kultivierung nahezu keine negativen Umweltauswirkungen haben – im Gegenteil: Sie produzieren Sauerstoff, fixieren CO₂ und nehmen überschüssige Nährstoffe auf. Das ist also nicht nur neutral, sondern aktiv positiv für das Ökosystem.
IM+io: Wie haben Sie aus dieser Idee dann ein konkretes Produkt entwickelt?
LP: Das war ein längerer Weg. Wir haben zunächst mit der Algenkultivierung begonnen, aber irgendwann stellt sich natürlich die Frage: Was machen wir eigentlich mit der Biomasse? Wir haben uns dann entschieden, mit einem flüssigen Extrakt zu arbeiten, weil das viel Potenzial für die Kosmetik bietet. Die Kosmetikbranche erschien uns außerdem geeignet, weil wir als kleines Unternehmen dort vergleichsweise schnell Produkte entwickeln konnten – anders als in der Pharmaindustrie, wo Entwicklungszyklen einfach viel länger sind. Gleichzeitig ließ sich über die Kosmetik eine gewisse Wertschöpfung erzielen, die wir wiederum in unsere aufwendige Kultivierung und Produktentwicklung reinvestieren konnten.
IM+io: Sie hatten ja erwähnt, dass das Unternehmen heute zweigeteilt ist – Kultivierung auf der einen, Produktion auf der anderen Seite. Wie sieht das genau aus?
LP: Heute kultivieren wir die Algen vor allem noch für Forschungszwecke, aber ursprünglich haben wir auch für die eigene Produktproduktion geerntet – bis zu einer Tonne Biomasse pro Jahr. Die Kultivierung erfolgt über sogenannte Kulturleinen, die mit Sporen aus den Algen bestückt werden. Diese Sporen wachsen dann zu kleinen Gametophyten heran, die später zu den ausgewachsenen Algen werden. Die Leinen bringen wir im Winter ins Meer, und im Frühjahr – etwa im Mai oder Juni – können wir dann ernten.
IM+io: Und heute beziehen Sie die Algen aus anderen Quellen?
LP: Genau. Die Kultivierung in der Ostsee – etwa in der Kieler Förde – ist wegen des niedrigen Salzgehalts und des langsamen Wachstums dort einfach nicht mehr effizient genug für den Bedarf, den wir heute haben. Deshalb arbeiten wir mit Kooperationen in Norwegen zusammen, wo unter nachhaltigen Bedingungen in größerem Maßstab kultiviert wird. Auch in Irland oder der Bretagne gibt es Kontakte. Die Arbeitsteilung hat sich für uns bewährt: Andere spezialisieren sich auf die Kultivierung, wir konzentrieren uns auf die Produktentwicklung und Extraktherstellung.
IM+io: Wie genau sieht dann Ihre Produktion aus?
LP: Unsere Produktion fokussiert sich heute auf die Extraktherstellung. Die Kosmetik selbst lassen wir von Lohnherstellenden produzieren, die über die nötige Reinraumtechnik und Produktionsanlagen verfügen. Wir entwickeln die Rezepturen, testen sie intern und geben sie dann in die externe Herstellung. Was komplett bei uns liegt, ist die Entwicklung der Extrakte, die Forschung dazu sowie die Vermarktung – sowohl über unsere eigene Naturkosmetikmarke Oceanwell als auch über den Vertrieb von Extrakten an andere Kosmetikunternehmen.
IM+io: Nutzen Sie im Produktionsprozess oder in der Forschung digitale Technologien wie KI?
LP: Tatsächlich spielt KI bei uns eine immer größere Rolle. Zunächst einmal nutzen wir KI im Bereich Recherche – gerade im wissenschaftlichen Kontext ist das besonders hilfreich. Statt viele Fachartikel manuell zu durchsuchen, bekommen wir heute deutlich schneller relevante Informationen. Natürlich prüfen wir das immer kritisch nach, aber es ist eine echte Arbeitserleichterung. In Zukunft wollen wir auch im Kundenbereich KI stärker einsetzen – zum Beispiel, um individuelle Pflegeempfehlungen auf Basis von Hautbedürfnissen zu geben.
IM+io: Könnte KI auch direkt in die Produktion eingebunden werden?
LP: Ja, das ist denkbar. Zum Beispiel in unserem Filtrationsprozess, der wegen der viskosen Algenextrakte technisch recht anspruchsvoll ist. Wir arbeiten mit Rückspülsystemen, die momentan noch manuell oder zeitgesteuert laufen. Wenn man das mithilfe von KI smarter steuern könnte – je nach Zustand der Anlage oder Zusammensetzung des Extrakts – wäre das ein echter Gewinn an Effizienz und Ressourcen.
IM+io: Arbeiten Sie bei Ihrer Forschung auch mit wissenschaftlichen Einrichtungen zusammen?
LP: Ja, sehr intensiv sogar. Wir sind Teil mehrerer europäischer Forschungsprojekte, etwa im Rahmen von Horizon Europe. Da geht es sowohl um neue Anwendungen für Algen – wie Nahrungsergänzungsmittel – als auch um die Frage, wie man Algenprodukte gesellschaftlich besser verankern kann. In Nord- und Westeuropa ist das ja bisher eher unüblich im Vergleich zu Asien. Daneben kooperieren wir mit Universitätskliniken, Fachhochschulen und Forschungszentren in Deutschland und anderen Ländern.
IM+io: Manche sagen, auch nachhaltige Nutzung kann dem Meer schaden. Wie stehen Sie dazu?
LP: Das nehmen wir sehr ernst – schließlich war der Umweltgedanke unser Antrieb von Anfang an. Bei unserer Algenkultivierung achten wir darauf, dass nichts im Meer zurückbleibt. Die Kulturleinen werden vollständig entfernt, es werden keine Schadstoffe eingesetzt, und das Ökosystem wird durch die Algen sogar unterstützt: Sie produzieren Sauerstoff und binden CO₂.
Darüber hinaus sehen wir unsere Verantwortung nicht nur im direkten Handeln, sondern auch im Bewusstseinsschaffen. Deshalb verknüpfen wir unsere wirtschaftlichen Aktivitäten mit einem Bildungs- und Aufklärungsansatz, der Menschen für die Bedeutung intakter Meeresökosysteme sensibilisieren soll – sei es durch Veranstaltungen, Initiativen wie „Protect the Ocean“ oder unsere Kommunikationsarbeit.
IM+io: Können Sie erzählen, was genau hinter Ihrer Initiative „Protect the Ocean“ steckt?
LP: Ja, das ist ein Herzensthema für uns. Wir haben vor über zehn Jahren die Kampagne „Protect the Ocean“ ins Leben gerufen. Dabei fließt ein Teil unserer Produktumsätze direkt in konkrete Meeresschutzprojekte. Wir unterstützen zum Beispiel ein Projekt zum Schutz von Meeresschildkröten an der Elfenbeinküste. Oder hier in der Ostsee, wo wir uns für die Beseitigung von Geisternetzen einsetzen – also alten Fischernetzen, die noch im Wasser hängen und großen Schaden anrichten.
Dabei arbeiten wir mit Organisationen wie One Earth – One Ocean zusammen. Für uns ist das ein logischer Schritt: Wenn wir dem Meer etwas entnehmen, möchten wir auch etwas zurückgeben – nicht nur symbolisch, sondern ganz praktisch.
IM+io: Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da, wenn es um nachhaltige Nutzung des Meeres geht?
LP: Noch recht am Anfang, ehrlich gesagt. In der globalen FAO-Statistik taucht Deutschland bei Aquakultur kaum auf. Wir haben eine starke Meeresforschung, zum Beispiel in Kiel mit dem GEOMAR, aber wirtschaftlich spielen wir noch eine Nebenrolle. Es gibt allerdings gute Ansätze, etwa über Netzwerke wie BlueHealthTech oder das WIR-Bündnis „Plant³“. Dennoch: Länder wie Japan oder Australien sind da deutlich weiter, was Nutzung und Schutz mariner Ressourcen angeht.
IM+io: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
LP: Ich glaube, es fehlt oft an Bewusstsein. Eine ehemalige Ministerpräsidentin sagte einmal sinngemäß: Schleswig-Holstein lebt mit dem Rücken zum Meer – und das trifft es gut. Die Küste wird zwar gern als Urlaubsziel gesehen, aber was sich unter der Oberfläche abspielt – ökologisch wie wirtschaftlich – ist für viele weit weg. Dabei sind die Meere enorm wichtig, etwa als CO₂-Speicher im Klimawandel. Das müsste viel stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden.
IM+io: Was könnte helfen, dieses Bewusstsein zu stärken?
LP: Auf vielen Ebenen etwas. Wir versuchen zum Beispiel, über unsere Marke auch aufzuklären – nicht nur über Produkte, sondern auch über die Bedeutung und Bedrohung der Meere. Politisch wäre es wichtig, marine Themen stärker in den Fokus zu rücken. Und auch in der Bildung kann mehr passieren. Es geschieht schon einiges, aber es braucht noch mehr Präsenz – in Medien, Schulen, der öffentlichen Diskussion.
IM+io: Blicken wir nach vorn: Planen Sie, sich über Kosmetik hinaus breiter aufzustellen?
LP: Ja, absolut. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder auch medizinische oder ernährungsbezogene Entwicklungen angestoßen – mit teils sehr guten Ergebnissen. Zum Beispiel ein Gel auf Quallenbasis, das die Wundheilung beschleunigt. Oder Polyphenole mit potenzieller Antikrebswirkung. Leider sind solche Projekte oft an regulatorischen Hürden oder Kooperationensentscheidungen gescheitert. Das ist für ein kleines Unternehmen schwer zu kompensieren. Deshalb konzentrieren wir uns derzeit auf Kosmetik und Nahrungsergänzung, behalten aber einiges in der Schublade – wer weiß, wann der richtige Zeitpunkt kommt.
IM+io: Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihres Unternehmens?
LP: Wir wollen das Unternehmen auf ein solides Fundament stellen, sowohl wirtschaftlich als auch inhaltlich. Es geht uns darum, unsere Marke weiter bekannt zu machen – nicht nur als Produkt, sondern auch als Botschafterin für eine nachhaltige Meeresnutzung. Gleichzeitig bereiten wir uns auf die nächste Generation vor. Wir möchten, dass unsere Nachfolger:innen genauso viel Freude an der Arbeit haben wie wir. Und wir wollen weiterhin daran arbeiten, die wertvollen Wirkstoffe des Meeres für den Menschen nutzbar zu machen – auf faire, achtsame und innovative Weise.