IM+io: Herr Dr. Wittenburg, warum haben Sie Inspirient gegründet und wie sieht Ihr Businessmodell aus?
GW: Bei der Gründung ging es vor allem darum, die Idee der automatisierten Datenanalyse fokussiert vorantreiben zu können. Die Alternative wäre gewesen, die Umsetzung in eine bestehende Firmenstruktur einzubinden oder aber, die Idee in einer Universität als Forschungsprojekt zu realisieren und über Drittmittel zu finanzieren. Im Nachhinein bin ich sehr glücklich darüber, dass wir diese Vision, obwohl sie einen starken Forschungscharakter hat, in das Startup-Format eingebracht haben. So haben wir eine viel höhere Umsetzungsgeschwindigkeit. Die Marktmechanismen helfen uns, sehr zielgerichtet zu arbeiten. Das Feedback, das wir von unseren Pilotkunden im letzten Jahr bekommen haben, hilft uns ungemein und hat uns weitergebracht. Dieses Feedback hätte man sich in einem Forschungsprojekt viel später eingeholt und wir hätten möglicherweise am Markt vorbeigearbeitet.
IM+io: Heißt das, dass Sie im Verlauf des Jahres Ihr Businessmodell nachjustieren mussten?
GW: Unsere Markteintrittsstrategie ist konstant geblieben, das heißt, wir gehen nach wie vor über die großen Beratungsunternehmen in den Markt. Für die ist unser Angebot am werthaltigsten, denn für sie ist es Tagesgeschäft aus Datensätzen relevante Erkenntnisse herauszuziehen. Meine Zeit beim BCG Henderson Institute, dem Think Tank der Boston Consulting Group in New York, hilft nun sehr dabei nach vorne zu denken: Wie entwickelt sich der ganze Markt weiter und was sind die Trends, die großen Hebel? Unser Ansatz hat sich im Großen und Ganzen nicht geändert, aber man sieht im Kleinen dann halt sehr viel Optimierungspotenzial. So macht es uns die Arbeit mit den Beratungsfirmen schon jetzt sehr viel einfacher, wenn wir bezüglich Einsatzszenarien auch mit deren Kunden sprechen. Weil wir dann selbst die Erfahrung erwerben, wie digitalisierte Beratung funktionieren kann. Wir finden Antworten auf die Frage, wie unsere Künstliche Intelligenz auf der Kundenseite optimal eingesetzt werden kann.
IM+io: Das heißt, Sie selbst bieten keine Beratung an, sondern nur den Algorithmus zur Datenanalyse?
GW: Genau da wollen wir hin, zur rein algorithmischen Dienstleistung, denn nur so kann unser Geschäftsmodell skalierbar wachsen. Wir wollen die Automatisierung von Datenanalysen für viele Kunden gleichzeitig anbieten und so als Start-up schnell wachsen. Wenn unsere KI etwa in der Beratung wertschöpfend ist, dann ist sie dies auch für die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, für Banken und generell für Strategieabteilungen in Konzernen. Mit einer reinen Beratungsdienstleistung wäre dies personalintensiv und wir hätten weniger Skalierungspotenzial. Gleichwohl bieten wir zurzeit Beratung an, einfach weil unsere Kunden mit jemandem über die Muster sprechen wollen, die unsere KI in ihren Daten findet. Dabei lernen wir natürlich auch selbst! Im Kern aber ist das Businessmodell auf die breite Einsetzbarkeit der angebotenen Software ausgelegt, quasi als Taschenrechner 4.0. Wir wollen eine KI- bzw. Analytics-Firma bleiben und keine Beratungsfirma werden. Aber wir arbeiten gerne mit Beratungen zusammen. Das ist umso wichtiger, da unser Algorithmus Zusammenhänge in den Daten findet, die bislang noch nie thematisiert wurden. So wird aus dem, was wir beim Kunden abliefern, die Blaupause für die anschließenden Beratungsprojekte. Zudem wollen wir mit unserem Angebot auf Mittelständler zugehen. Die Datenanalyse durch Data Scientists ist ein hochpreisiger Manufakturbetrieb – wenn wir sie aber automatisieren, wird sie auch für dieses Marktsegment interessant, weil bezahlbar.
IM+io: Was ist das wirklich Besondere an Ihrer Software, wie sieht der Vergleich zu anderen Tools im Wettbewerb aus?
GW: Erstaunlicherweise haben sich bislang erst wenige an das Thema der KI-gestützten Automatisierung von Datenanalysen herangewagt. Das liegt vielleicht auch daran, wie die Datenanalytik sich in den letzten zehn Jahren entwickelt hat. Man kommt hier aus dem klassischen Datenbank- und ERP-Bereich. Dann folgten die großen Trends – mit den Schlagworten Big Data und aktuell Self-Service Analytics. Es gibt viele Unternehmen, die genau dies anbieten. Der Punkt, der uns unterscheidet und den wir für extrem relevant halten, ist, dass eine Datenanalyse immer irgendwo hinführen muss. Der einzige werttreibende Punkt der Datenanalyse ist es, am Ende eine Entscheidungsvorlage für die operativen und strategischen Entscheidungsträger eines Unternehmens auf den Tisch zu legen. Wir erstellen automatisch diese Entscheidungsvorlagen – das differenziert uns von jenen, die von der technischen Seite der Analyse her denken. Unserem Team kommt zu Gute, dass wir die zugrundeliegende berufliche Situation selbst kennen. Wir mussten in unseren Beratungsjobs unsere damals noch manuell erstellten Analysen gegenüber den Kunden darstellen. Dabei bekommt man ein Fingerspitzengefühl dafür, was den Kunden wirklich interessiert. Wir denken also vom Ende her, vom Empfänger aus.
IM+io: Ist Ihre Software zu Ende erfunden und müssen nur noch die Märkte überzeugt werden oder stellt das aktuelle Angebot nur einen Anfang dar?
GW: Wir müssen als Firma jetzt erstmal eine stabile Version in den Markt bringen. Wir überführen derzeit schrittweise unsere Pilotprojekte des Jahres 2016 in reguläre Kundenbeziehungen. Was die Technologie angeht, so beginnt erst in 2017 wirklich die Reise. Es existiert ein großer Unterschied zwischen dem Status quo und dem, was wirklich möglich wird. Wenn wir Datenanalysen automatisieren, dann können Firmen künftig opportunistisch und explorativ an Datenanalysen herangehen: Mit einem händisch arbeitenden Team von Analysten wäre das Risiko angesichts der Kosten dafür viel zu groß. Wenn ich aber einen Algorithmus mit einer Analyse beauftrage, der natürlich um ein Vielfaches preiswerter ist, dann kann ich als Entscheider viel mutiger mit Daten umgehen. Es geht darum, neue Bereiche zu erschließen. Bislang haben wir in der KI den generalistisch aufgestellten Junior-Berater nachgebaut, der Daten ohne besondere Industrieexpertise auswertet. Letztere bauen wir derzeit in unserem System auf, zum Beispiel für Kreditbewertung, Patentanalyse oder Betrugserkennung.
IM+io: Bleiben wir bei der Erschließung der Märkte, wo sind für ein junges Start-up wie Inspirient die Hürden für den Vertrieb?
GW: Die große Herausforderung liegt darin, die Innovation richtig zu dosieren, also passende Pakete für unsere Kunden zu schnüren. Wir sind eine Firma im Hochtechnologie-Bereich, das heißt wir müssen mit dem, was wir anbieten, weit genug vor dem Status quo sein, wir dürfen aber nicht so weit weg sein, dass die Kunden uns nicht mehr verstehen. Es muss eine Art „Stepping Stones“ geben, bei denen der Kunde für sich ganz klar den Mehrwert erkennen kann. Von da aus kann man dann den nächsten Schritt gehen. Es gilt durch einzelne, jeweils für sich werthaltige Schritte, zu überzeugen. Wir fangen immer mit der automatischen Analyse eines kleinen, leichtgewichtigen Datensatzes an, der schon vorhanden ist. Wenn unsere KI dann in solchen Datensätzen interessante Erkenntnisse findet, dann wagen sich unsere Kunden auch an größere Datensätze heran. Es geht nicht darum, den Bedarf an Analyse zu verdeutlichen, sondern wir müssen unser Produkt gut erklären. Erklären, dass es darum geht, vorhandene Daten mit geringem Aufwand konsequent auszuwerten.
IM+io: Ihr Unternehmen hat heute insgesamt vier Mitarbeiter, der Weg zur Profitabilität ist vermutlich noch dornig. Wann planen Sie mit der schwarzen Null?
GW: Der Punkt für Profitabilität hängt im Wesentlichen davon ab, wie schnell wir in den Markt gehen. Ich denke, wir sollten es nicht bei rein organischem Wachstum belassen, sondern investieren und internationalisieren. Das hängt natürlich von passenden Investoren ab.
Der Markteintritt für ein datenfokussiertes Algorithmus/KI Start-up ist in Deutschland nicht einfach, auch und gerade wegen der berechtigten Sensibilität mit Blick auf den Datenschutz. In den USA wäre das einfacher. Dennoch denken wir, dass sich die Strategie, hier anzufangen, auszahlen wird. Wenn wir dann internationalisieren, ist das „Made in Germany“ schon ein deutliches Qualitätslabel. Wir verändern den Markt für Datenanalyse und die Skalierbarkeit wird sich über die Zeitachse einstellen. Ich denke, dass wir für 2018 die schwarze Null anstreben sollten.
IM+io: Sie haben Inspirient gemeinsam mit Dr. Guillaume Aimetti gegründet. Um die Hürden einer Unternehmensgründung erfolgreich zu nehmen, muss im Kerngründerteam wirklich alles passen. Was macht Sie beide gemeinsam stark?
GW: Das Interessante ist, dass wir ein Start-up Gründerteam sind, wie es sich ein Investor eigentlich nicht wünscht. Man wünscht sich komplementäre Teams, also etwa aus einem Techniker und einem Betriebswirt. Was die Zusammenarbeit mit Guillaume so herausragend macht ist, dass wir die Vision teilen, dass wir wissen, wo wir hin wollen. Damit können wir sehr gut die Schritte angehen, die wir auf unserem Weg gehen müssen. Wir haben den gemeinsamen Hintergrund, wir sind beide promovierte Informatiker und wir wissen beide, was algorithmisch und mit Künstlicher Intelligenz möglich ist. Wir kommen beide aus der Unternehmensberatung und haben aus erster Hand erfahren, wie es ist, mit einem Konzernmanager Analyseergebnisse zu diskutieren. Wenn man diese Erfahrung nicht hat, dann ist es schwieriger unsere Vision wirklich zu verinnerlichen und mit den automatisierten Datenanalysen direkt auf die Entscheidungsträger zuzugehen. Was uns auszeichnet ist, dass wir beide sowohl die technologische Seite verstehen als auch wissen, mit welchen Entscheidungsvorlagen Unternehmensverantwortliche arbeiten können. Heterogene Teams haben ihre Stärken bei Geschäftsmodellen, bei denen das Ziel klar ist und die Entwicklung weniger einem Forschungsprojekt gleicht.
IM+io: Wie haben Sie beide sich als Gründerteam gefunden?
GW: Wir haben uns per Annonce getroffen, erstaunlich unromantisch. Ich habe auf verschiedenen Plattformen nach einem Mitgründer gesucht und damit ein ganzes Quartal verbracht. Ich bin sehr froh, dass es dann Guillaume geworden ist, mit dem ich tatsächlich die Vision teile.
IM+io: Was zeichnet Sie persönlich als Gründer und Unternehmerpersönlichkeit aus – auch und gerade vor dem Hintergrund Ihrer bisherigen beruflichen Biografie?
GW: Es gibt zwei Phasen, in denen Menschen gemeinhin Unternehmen gründen. Die einen sind Mitte Zwanzig, also die jungen Wilden, bei denen revolutionäre Projekte wie etwa Snapchat entstehen. Dann gibt es die zweite Phase derer, die sagen, wir machen das mit Berufserfahrung – und zu der gehöre ich mit meinen 37 Jahren. Da sind die Ansätze meistens wesentlich zielgerichteter. Da sagt man sich, wir haben eine gewisse Industrie, ein Prinzip oder einen Bedarf erkannt, da kann man etwas draus machen. Bei mir lag es an meiner Erfahrung bei der Unternehmensberatung, dass ich mir gesagt habe, da geht was. Das Interessante bei uns ist, dass die eigentliche Idee, sich das Leben als Unternehmensberater einfacher zu machen, tatsächlich extrem weit anwendbar ist. Datengetriebene Entscheidungen sind ein Querschnittsthema der Digitalisierung. Was hier zusammenkommt, ist der Mix aus akademischer Theorie und betriebswirtschaftlicher Praxis aus der Unternehmensberatung. Ohne die Erfahrung aus der Promotionszeit an der Freien Universität Berlin wäre ich ein so offenes Entwicklungsprojekt wahrscheinlich nicht angegangen.
Inspirient ist nicht aus einer Not heraus entstanden. Ein Start-up zu gründen war für mich ein neues spannendes Format, das mich gereizt hat, eine neue Lernkurve, auf die ich mich noch einlassen wollte. Das war keine spontane Gründungsidee aus dem Bauch heraus, ihr lagen vielmehr sehr vernunftgesteuerte Motive zugrunde. Hier ging es darum, den Markt zu verstehen, Trends zu erkennen und um ausführliche Vorarbeiten.
Auch die Finanzierung basiert auf klaren Überlegungen: Gestartet sind wir mit viel Eigeninitiative, die uns dann für die Gründungsförderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie qualifiziert hat. Für die zweite Investorenrunde konnten wir die Scheer Holding gewinnen, dort hat man gesehen, welches Potenzial in unserem Ansatz steckt. Das hat uns sehr geholfen! Für die Internationalisierung ist vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt ein US-Investor hilfreich. Grundsätzlich gilt, dass man sich die Stufen gut einteilen muss, es geht darum, die richtigen Förderprogramme und Investoren zum passenden Zeitpunkt zu finden.