Gefühlvolle Avatare:
Digitale Unterstützung für mehr psychische Resilienz
Eva Möhler, Jan Alexandersson, Andrea Dixius, Patrick Gebhard, Projekt Skills4Kids

(Titelbild: © AdobeStock | 1339638839 | Kootenay )
Kurz und Bündig
22 Prozent der 7- bis 12-Jährigen zeigen seit der Pandemie psychische Auffälligkeiten, 15 Prozent sind stark adipös. Etwa 50 Prozent aller Kinder und Jugendlichen regulieren ihre Emotionen durch gesundheitsschädliches Verhalten wie übermäßiges Essen, Rauchen oder Rückzug – auch ohne formale Diagnose. Ursache ist häufig emotionale Dysregulation. Der Einsatz eines KI-Avatars soll frühzeitig gesunde Strategien fördern und körperlichen sowie psychischen Erkrankungen vorbeugen – besonders bei wenig unterstützten jungen Menschen.
Wenn ein Kind bei Kummer heimlich zur Süßigkeitenschublade greift, wenn Jugendliche ihre Angst in Rückzug oder Selbstverletzung verwandeln – dann fehlen oft gesunde Strategien, um mit belastenden Gefühlen umzugehen. Viele Heranwachsende wirken äußerlich unauffällig, doch in ihnen tobt ein innerer Kampf mit Wut, Scham oder Traurigkeit. Wie lässt sich emotionale Stärke früh fördern, bevor sich ungesunde Muster festsetzen und dauerhaft die seelische und körperliche Gesundheit gefährden?
Viele Menschen – bereits schon Kinder und Jugendliche – greifen bei Stress oder unangenehmen Gefühlen oft zu ungesunden Mitteln wie Essen, Alkohol oder Zigaretten. Diese Strategien helfen kurzfristig, schaden aber auf Dauer der Gesundheit. Damit es gar nicht so weit kommt, ist es wichtig, schon früh gesunde Wege im Umgang mit Gefühlen zu lernen. Denn wenn man als Kind lernt, gut mit Stress und Frust umzugehen, bleibt das meist ein Leben lang so. Diese frühen Erfahrungen bestimmen später, wie gut Erwachsene mit Belastungen zurecht kommen und seelisch stabil bleiben (Dixius & Möhler, 2021).
Skills4Kids – ein digitaler Ansatz für gesunde Emotionsregulation
Das Projekt Skills4Kids setzt genau dort an: Es will Kinder und Jugendliche frühzeitig dabei unterstützen, besser mit ihren Gefühlen umzugehen. Dafür nutzt es eine moderne, digitale Anwendung mit Künstlicher Intelligenz, die bei der Erkennung und Bewältigung von Stress helfen kann. Die Methoden, die dabei vermittelt werden, stammen aus dem bewährten START-Programm (Stressbewältigung und Affektregulationstraining). Dieses Programm wurde bereits erfolgreich im realen Leben eingesetzt und hat gezeigt, dass es Kindern und Jugendlichen hilft, gesunde Wege im Umgang mit ihren Emotionen zu finden (Dixius und Möhler, 2017, 2021, Dixius, Goth und Möhler, 2021, Dixius et al., 2023).
Mehr Reichweite durch digitale Zugänge
Eine digitale Anwendung wie Skills4Kids kann viel mehr Kinder und Jugendliche erreichen als ein herkömmliches Therapieprogramm, für das man eigens eine Klinik oder Praxis aufsuchen müsste. Anders als viele andere digitale Angebote – von denen es für Kinder deutlich weniger gibt als für Erwachsene – arbeitet Skills4Kids mit einem sprechenden interaktiven Avatar. Dieser Avatar ist wie eine digitale Begleitperson, die den Kindern zuhört, mit ihnen spricht und sie motiviert. Die Verbindung zwischen Kind und Avatar hilft dabei, Vertrauen aufzubauen und die Übungen regelmäßig zu nutzen. So bekommen besonders belastete Kinder und Jugendliche genau die Unterstützung, die sie aktuell dringend brauchen.
Skills4Kids ist eine moderne und vielseitige Lösung, die bestehende Therapien sinnvoll ergänzt. Mit Hilfe der digitalen Technik können mehr junge Menschen gezielt gefördert werden. Die eingesetzten Methoden sind so aufgebaut, dass sie sich auch für andere Altersgruppen und Anwendungsbereiche gut anpassen lassen.

Pilotstudie zur Anwendung und Wirksamkeit von Skills4Kids
wie sich der Umgang mit Gefühlen bei den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen durch die Nutzung von Skills4Kids verändert. Dabei wird vor und nach der Anwendung gemessen, wie gut die Emotionsregulation gelingt. Zusätzlich werden technische Funktionen, die Akzeptanz der App und ihre praktische Wirkung im Alltag bewertet. Diese Ergebnisse sind eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung der Anwendung.
Ein besonderer Vorteil von Skills4Kids liegt in der transparenten und datenschutzkonformen Gestaltung. Die App zeigt nachvollziehbar, wie gut bestimmte Übungen wirken – sowohl für Fachkräfte als auch für die Kinder und Jugendlichen selbst. Das hilft, gezielt passende Unterstützung anzubieten.
Im nächsten Schritt ist eine größere wissenschaftliche Untersuchung geplant – eine sogenannte randomisiert-kontrollierte Studie. Sie soll zeigen, ob Skills4Kids auch im größeren Rahmen zuverlässig funktioniert. Langfristig ist geplant, dass die Anwendung von gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird (vgl. SGB V). Auch andere leistungstragende Stellen wie die Unfall-, Sozial- oder Pflegeversicherung (nach SGB VII, SGB XII, SGB XIV) sowie private Krankenversicherungen sollen dabei einbezogen werden.
Zielgruppe im Fokus: Wie die Anwendung getestet wird
Auf Basis des bereits geprüften START-Programms, das mit vielen Materialien zur Förderung eines gesunden Umgangs mit Gefühlen bei Kindern entwickelt wurde, entsteht nun eine digitale Version. Diese enthält auch einen sprechenden, sozial handelnden Avatar und richtet sich an alle Kinder und Jugendlichen ab 11 Jahren – nicht nur an psychisch erkrankte.
Zunächst wird die digitale Anwendung gemeinsam mit besonders belasteten Kindern und Jugendlichen weiterentwickelt. Fünf Patient:innen aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit emotionaler Dysregulation geben dabei aktiv Rückmeldungen, um die Machbarkeit (Feasibility) und Sicherheit (Safety) der App zu prüfen. Anschließend wird Skills4Kids zur weiteren Überprüfung an jeweils 50 Jugendliche mit ähnlichen Problemen ausgegeben.
Um die Wirkung zu messen, wird die Fähigkeit zur Emotionsregulation vor und nach der vierwöchigen Nutzung erfasst. Dafür kommt ein anerkanntes Testverfahren zum Einsatz: der FEEL-KJ (Grob und Smolenski, 2006). Dieses Instrument zeigt, ob die Kinder eher gesunde (adaptive) oder eher ungünstige (maladaptive) Strategien im Umgang mit ihren Gefühlen verwenden – bei Teilnehmenden im Alter von 10 bis 18 Jahren.
Von der Pilotgruppe zum flächendeckenden Einsatz
Wenn die Pilotstudie zeigt, dass die App gut funktioniert (gute Feasibility und Safety) und sie tatsächlich hilft, gesunde Strategien im Umgang mit Gefühlen zu stärken oder ungesunde zu verringern, soll das Projekt ausgeweitet werden. Dann sollen auch Jugendliche erreicht werden, die keine psychiatrische Diagnose haben – etwa in Schulen oder anderen niedrigschwelligen Einrichtungen. Ziel ist ein breiter Einsatz als vorbeugende Maßnahme. Die geplante Weiterentwicklung baut direkt auf den Erkenntnissen aus der Pilotstudie im klinischen Bereich auf.
Wenn die weiteren Studien erfolgreich verlaufen, kann Skills4Kids langfristig einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Gesundheit leisten. Besonders hilfreich ist dabei, dass die digitale Lösung es ermöglicht, genau zu messen, wie wirksam bestimmte Übungen oder Maßnahmen sind – und das auf eine transparente, datenschutzsichere und verständliche Weise.
Bewährte Grundlage: Das analoge START-Programm
Wie bereits erwähnt, dient die analoge Version des START-Programms und START-Kids als Vorlage für das Modell. Besonders wertvoll dabei sind die konkreten Erfahrungen aus der praktischen Umsetzung: Sie zeigen, welche Übungen bei Kindern und Jugendlichen gut ankommen und welche Methoden besonders wirksam sind. Diese Erkenntnisse fließen gezielt in die digitale Weiterentwicklung ein – zum Beispiel die altersgerechte Sprache, die anschauliche Gestaltung und in den klaren Aufbau der Materialien.
Ein großer Vorteil des Programms liegt in der ansprechenden Gestaltung der Materialien. Diese laden Kinder und Jugendliche aktiv zur Teilnahme ein und fördern so eine hohe Verbindlichkeit im Verlauf der Übungen. Gerade Kinder mit stark eingeschränkter Fähigkeit zur Emotionsregulation profitieren oft nicht ausreichend von herkömmlichen Präventionsangeboten. Häufig fehlt es ihnen an Motivation oder sie haben Schwierigkeiten, Programme mit höheren Anforderungen zu verstehen oder durchzuhalten.
Die bisherigen Ergebnisse zeigen jedoch, dass das START-Programm auch unter diesen Bedingungen gut funktioniert: Die Teilnehmenden konnten durchweg aktiv mitmachen, und selbst Kinder mit kognitiven Einschränkungen entwickelten ein gutes Verständnis für die Inhalte (Dixius und Möhler, 2017 und 2018, Dixius et al., 2023).
Niedrigschwelliger Zugang durch digitale Lösungen
Die digitalisierte Version von START könnte ein vielversprechender Ansatz sein, um Kinder frühzeitig spielerisch in ihrer Emotionsregulation zu stärken. Ziel ist es, durch diesen frühzeitigen Einsatz langfristig dabei zu helfen, schädlichem Substanzgebrauch – wie etwa übermäßigem Alkohol- oder Nikotinkonsum – und der Entwicklung chronischer Erkrankungen vorzubeugen. Der Einsatz einer digitalen Therapie soll nun die Behandlungs- und Anwendungsschwelle für Kinder und Jugendliche durch deutlich gesteigerte Attraktivität erheblich reduzieren. Gerade durch Elemente wie Gamification, personalisiertes Feedback oder Avatare entsteht eine motivierende Umgebung, die auch weniger therapieerfahrene Kinder abholt. So wird Hilfe nicht nur verfügbar, sondern auch tatsächlich genutzt.
Digitale Weiterentwicklung für neue Zielgruppen
Weil ein gesunder Umgang mit Gefühlen so wichtig für die Entwicklung und seelische Widerstandskraft von Kindern ist, wurde das bewährte START-Therapieprogramm, das ursprünglich für Jugendliche entwickelt wurde (Dixius & Möhler, 2017a, 2017b, 2018, 2019, 2021), inzwischen auch für jüngere Kinder angepasst. Dieses neue Programm zur Förderung von Emotionsregulation und Stressresilienz wurde bereits erprobt und zeigt erste vielversprechende Ergebnisse (Dixius, Goth und Möhler, 2021). Die darin enthaltenen Materialien bilden nun eine wichtige Grundlage für die digitale Anwendung von Skills4Kids.
Durch die digitale Umsetzung wird das START-Programm nun niedrigschwellig und alltagsnah zugänglich gemacht. So können auch Kinder ab 11 Jahren erreicht werden, die bislang wegen fehlender Motivation oder mangelnder therapeutischer Angebote keinen Zugang zu wirksamer Unterstützung hatten.
Digitale Avatare in der Therapie – aktuelle Forschung und Beispiele
Der Einsatz von interaktiven Avataren in der Therapie ist keine neue Idee. Erste wissenschaftliche Studien dazu wurden bereits von Bickmore und Kolleg:innen durchgeführt (Bickmore & Gruber, 2010). Auch in anderen Bereichen kamen Avatare schon zum Einsatz – zum Beispiel zur Unterstützung bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) (DeVault et al., 2014) oder zur Begleitung von Menschen mit chronischen Schmerzen (Thiam et al., 2019).
Am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) wurden in Projekten wie EmpaT (BMBF), TARDIS (EU), EmmA und aktuell UBIDENZ (beide BMBF) digitale Avatare mit emotionaler Ausdrucksfähigkeit entwickelt. Sie wurden unter anderem eingesetzt, um soziale Kompetenzen zu fördern oder Menschen mit Erschöpfungssymptomen (beispielsweise Burnout) zu unterstützen.
Auch erste kommerzielle Systeme existieren bereits – zum Beispiel Chris, ein sprachgesteuerter Assistent fürs Auto, oder ElliQ, eine roboterähnliche Begleitung für ältere Menschen. Im Vergleich zum menschlichen Gesprächspersonen sind diese Systeme jedoch noch deutlich eingeschränkt, was echte soziale Interaktion betrifft. Projekte wie Skills4Kids können hier von bestehenden Entwicklungen profitieren und gezielt Synergien mit ähnlichen Forschungsansätzen nutzen.
Schule als Schlüssel: Wo Skills4Kids langfristig wirken kann
Ein zentrales Ziel des Projekts ist die Integration der App in schulische Präventionsarbeit. Schulen bieten einen niedrigschwelligen Zugang und erreichen Kinder, die außerhalb des therapeutischen Systems oft durchs Raster fallen. In einem möglichen nächsten Schritt soll die Anwendung über Schulsozialarbeitende oder Präventionsprogramme flächendeckend erprobt werden. So könnte emotionale Selbstregulation Teil des Schulalltags werden – ähnlich wie Verkehrserziehung oder Medienkompetenz.
Gerade im Schulkontext können Kinder in ihrem gewohnten Umfeld erreicht und gestärkt werden, bevor sich emotionale Belastungen verfestigen. Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte erhalten damit ein zusätzliches Werkzeug zur frühzeitigen Unterstützung.
Intelligente Technik trifft auf emotionale Entwicklung: Wie KI das Fühlen lernbar macht
Hinter der Anwendung von Skills4Kids steckt nicht nur psychologische Expertise, sondern auch modernste Forschung im Bereich Mensch-Technik-Interaktion. Koordiniert wird das Projekt vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), der führenden wirtschaftsnahen Forschungseinrichtung für KI-basierte Systeme in Deutschland. Ziel ist es, digitale Technologien nicht nur als technische Werkzeuge zu nutzen, sondern sie gezielt für die psychische Gesundheit von Kindern einzusetzen.
Das DFKI bringt seine Erfahrung in emotionaler Nutzendenmodellierung, Verhaltensanalyse, Sprach- und Dialogverarbeitung sowie im Design soziotechnischer Systeme ein – mit Anwendungsbezügen zu Gesundheit, Mobilität und Barrierefreiheit. Konkret kümmert sich das DFKI bei Skills4Kids um die Modellierung und Evaluation des Verhaltens des KI-Avatars, inklusive sprachlichem Zugriff auf therapeutische Inhalte und KI-gestützter Erkennung von Aktivitätssignalen über Machine-Learning-Methoden. Ziel ist ein Avatar, der auf Kinder empathisch reagiert und sie gleichzeitig wirksam bei der Emotionsregulation unterstützt.
Auch in Sachen Datenschutz ist das DFKI federführend: Mit der am Zentrum entwickelten „on-premise Trusted Research Environment“ SEMLA (Secure Machine Learning Plattform) wird eine sichere DSGVO-konforme Verarbeitung sensibler Daten gewährleistet. Dabei kommen Open-Source-Werkzeuge wie das Dialogmodellierungs-Tool „SceneMaker“ zum Einsatz, mit dem sich Interaktionen gezielt modellieren und flexibel anpassen lassen.
Einbindung in den Forschungsverbund Health.AI: Vernetzung für nachhaltige Wirkung
Skills4Kids ist Teil des bundesweiten Forschungsverbunds Health.AI. Hier profitiert das Projekt nicht nur vom fachlichen Austausch, sondern auch von gezielter Unterstützung bei Co-Creation-Formaten, Innovations- und Transformationsprozessen. Auch die geplante Realstudie wird in enger Abstimmung mit dem Netzwerk durchgeführt – selbstverständlich unter ethischem Votum. Langfristig sollen die im Projekt entwickelten Technologiebausteine und Methoden über Health.AI zugänglich gemacht und für weitere Anwendungen nutzbar sein – etwa zur Stärkung von Gesundheitsinnovationen im Bereich Kinder- und Jugendhilfe. Durch diese Struktur bleibt die Wirkung von Skills4Kids nicht auf ein einzelnes Projekt begrenzt, sondern kann dauerhaft und vielseitig zur Anwendung kommen.
Skills4Kids als präventive Lösung für alle Kinder und Jugendlichen
Die Skills4Kids-Demonstrationsanwendung verfolgt langfristig das Ziel, gesundheitsförderliche Strategien zur Emotionsregulation bei möglichst vielen Heranwachsenden zu stärken – nicht nur bei bereits psychisch belasteten jungen Menschen. Ziel ist es, frühzeitig vorzubeugen, damit weniger Kinder und Jugendliche überhaupt eine psychiatrische oder medizinische Diagnose entwickeln müssen. Durch die spielerische Vermittlung gesunder Gefühlsregulationsstrategien soll die aktuell sehr hohe Zahl behandlungsbedürftiger Kinder (22 Prozent laut Ravens-Sieberer, 2023) spürbar gesenkt werden. So können psychische Gesundheit und emotionale Selbstregulation frühzeitig und alltagsnah gefördert werden.